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Der Engel von Santa Marguerita

Der Engel von Santa Marguerita

Titel: Der Engel von Santa Marguerita
Autoren: Alexander Borell
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schnitt.
    „Sie sind gut!“ rief sie mir zu, als ich nicht weit von ihr hielt, „Sie fahren vergnügt in der Weltgeschichte herum, aber um meinen Wagen kümmern Sie sich nicht! Der steht noch immer in San Pedro.“
    „Ausgezeichnet“, sagte ich, „dann fahren wir zusammen hin und holen ihn ab.“
    „Fein, aber erst nach dem Dinner.“
    Sie kam mit ihrem Blumenstrauß zu mir in den Wagen. Ich schaltete den Gang ein, fuhr aber nicht los.
    „Was haben Sie denn, Chess?“ fragte sie.
    „Der Engel“, sagte ich, „schauen Sie sich mal den Engel an!“
    Sie folgte meinem Blick. Über die Statue streiften schräg die letzten Sonnenstrahlen.
    „Was soll denn mit ihm sein?“ fragte sie.
    „Sehen Sie das nicht, — sein Gesicht!“
    Als ich am Samstag vormittag kam, da war mir sein liebes Gesicht aufgefallen. Nachts dann, als ich mit Andy heimgekommen war, da war es ein hochmütiges, eiskaltes Gesicht gewesen, und jetzt —
    „Was soll denn an dem Gesicht sein? Vielleicht müßte man den Marmor mal reinigen lassen. Aber was regt Sie denn so auf?“
    „Sehen Sie das denn nicht, Andy? Das ist kein Gesicht mehr, das ist eine Fratze! Eine teuflische Fratze, voller Hohn, voller List und Verschlagenheit!“
    „Komisch“, sagte sie, „ich kann das nicht sehen. Aber vielleicht kenne ich das Gesicht schon zu lange.“
    „Die Sonne“, sagte ich, „die schrägen Sonnenstrahlen machen das.“
    Nun gab ich langsam Gas.
    „Das ist sehr schön, was Ihr Vater da hat einmeißeln lassen: ,Ich glaube, daß der gute Engel Gottes mich geleitet’, — finden Sie nicht?“
    „Meine Eltern haben sich sehr gern gehabt“, sagte sie.
    Ich fuhr an und dachte, ob es wohl auch ein guter Engel Gottes gewesen war, der diesen Mann in die Arme Julias geleitet hatte?
    Wir gingen zusammen die Treppe hinauf. Sie kam mit in mein Zimmer und stellte die Blumen in eine große Vase aus geschliffenem Kristall. Dann ging sie hinaus und holte Wasser.
    „So“, sagte sie, während sie die Blumen auf den Tisch stellte, „ein Zimmer ohne viele Blumen ist gar kein Zimmer.“
    Ich nickte ihr zu, und dann sagte ich:
    „Ich möchte mich vor dem Dinner bei Ihrer Mutter entschuldigen, Andy. Es war wirklich nicht recht, was ich da heute mittag gemacht habe.“
    „So tragisch ist das auch wieder nicht. Wissen Sie, was Mammy gesagt hat? Er ist zwar ein Flegel, aber er hat ehrliche Augen. Mammy beurteilt alle Leute nach ihren Augen.“
    Ich ging ans Fenster, weil mir warm geworden war. Es ist verdammt schwer, jemand für einen Mörder zu halten, der so nette Sachen von einem sagt.
    „Übrigens“, sagte Andy, „läßt sie sich entschuldigen. Sie hat wieder einen ihrer schrecklichen Migräne=Anfälle und bleibt auf ihrem Zimmer.“
    „Sie mögen Ihre Mutter furchtbar gern, nicht wahr?“
    „O ja, für Mammy würde ich glatt sterben. — Was ist mit Ihrer Mutter, Chess?“
    „Starb, als ich sieben Jahre alt war.“
    „Ich muß mir jetzt die Hände waschen. In zehn Minuten können Sie mich zum Dinner abholen, wenn Sie wollen.“
    Sie ging hinaus. Ich sah meinen Koffer liegen. Ja, Andy hatte gar nicht so unrecht: man sollte hier alles liegen und stehen lassen und wegfahren, weit weg. Was ging mich eigentlich die Familie Dardington an — außer Andy? Warum interessierte ich mich dafür, wer Collins ermordet hatte, einen Mann, den ich kaum kannte? Oder die Forjeon, die ich überhaupt nicht kannte? Ich könnte heute abend zu Andy sagen, sie solle ihren Koffer packen und ihr Scheckbuch nicht vergessen; in ein paar Stunden könnten wir in Yuma sein, an der mexikanischen Grenze. Und dann könnten wir reisen, bis wir das gefunden hätten, was Jack London das ,Tal des Mondes’ nannte, einen traumhaft schönen Platz. Ich könnte auf die Jagd gehen, angeln, oder vielleicht Königin=Victoria=Bohnen züchten, und ich hätte viel, viel Zeit, Andy zu lieben und ich hätte noch mehr Zeit, von ihr geliebt zu werden.
    Ich trat ans Fenster und schaute hinaus. Nun war die Sonne ganz verschwunden; der Vorplatz und der Engel lagen in dem Schatten der Bäume.
    Jede Sekunde konnte dort, von der Dunkelheit her, ein kleines Stückchen Blei angesaust kommen und mir meine Träume ein für allemal verderben. Vielleicht waren nachher die Speisen auf meinem Teller vergiftet; vielleicht kam der Tod ganz anders zu mir, als ich es jetzt dachte? Mein Gegner hatte Phantasie, vielleicht mehr als ich. Wenn er mehr hatte, konnte mich das mein Leben kosten.
    Ich wäre jetzt nicht für alle
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