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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Sie haben mir immer erzählt, dass mein Vater tot sei, dabei hat er meine Mutter einfach verlassen. Eigentlich kann man es nicht einmal verlassen nennen, denn sie waren nie richtig zusammen, sie kannten sich fast gar nicht. Genau genommen haben sie ein einziges Mal miteinander geschlafen. Und als meine Mutter feststellte, dass sie schwanger war, war mein Vater längst wieder in seiner Heimat.
    Ich war acht Jahre alt, als eine von Mutters Freundinnen ihr einredete, dass es außerordentlich wichtig für meine psychologische Entwicklung sei, die Wahrheit über meinen Erzeuger zu erfahren. Je früher, desto besser.
    Die Wahrheit war nicht viel. Mein Vater hieß Sören oder Gören und kam aus Schweden oder Dänemark oder Norwegen. An mehr konnte sich meine Mutter nicht erinnern. »Eddylein, dein Vater ist sicher ein ganz toller Mann, und an diesem Abend, als wir… als du… wie auch immer… Wir mochten uns sehr, sehr gerne.«
    Die Variante mit dem toten Vater hatte mir immer mehr zugesagt als die mit dem tollen Sören oder Gören aus Skandinavien.
    Obwohl ich meine Zeugung nicht der Liebe zweier Menschen, sondern der enthemmenden Wirkung zweier eiskalter Flaschen Wodka Gorbatschow zu verdanken habe, war ich für meine Mutter ein Wunschkind. Seitdem sie vierzehn war, hatte sie nichts sehnlicher haben wollen als ein Baby. Sie hatte die dreißig schon überschritten, als das skandinavische Sperma ihr dazu verhalf. Im vierten Monat der Schwangerschaft – mein Vater hatte Berlin bereits verlassen – kündigte sie in der Buchhandlung und zog zurück in die Wohnung ihrer Eltern. Ihre Freundinnen empfanden Mitleid mit der armen Magda Cohen, die Karriere und Eigenständigkeit für den Bastard in ihrem Bauch aufgeben musste. Lange versuchten sie meine Mutter zu überreden, trotz Kind weiterzuarbeiten. Aber Magda Cohen war der Antichrist der Frauenbewegung. Und hätte sie nur jemand beizeiten geheiratet und geschwängert, dann wäre sie gar nicht erst auf die Idee gekommen, einen Beruf zu ergreifen.
    An einem sonnigen Nachmittag im März presste Magda mich heraus und benannte mich nach einem der Protagonisten ihres Lieblingsromans von Jane Austen: Edward. An diesem Frühlingstag sah ich aus wie alle anderen Babys, aber mit jedem Jahr wuchs die Ähnlichkeit. Adams Augen, Adams Mund, Adams Nase.
    Am liebsten spielte ich im Wohnzimmer vor dem Ofen. Er war weiß, mit Schnörkeln, und oben saßen drei fette Putten, die sich mild lächelnd an den Händen hielten. Neben dem Ofen stand eine Kiste voller Autos. Ich liebte meine Autos, ich hielt mich für einen Spezialisten und wollte später irgendwas mit Autos machen, wie wohl fast jeder sechsjährige Junge. Ich war wahrlich kein originelles Kind. Und als gerade der goldene Jaguar, das Juwel meiner Sammlung, den weißen Mustang rammte, hörte ich meinen Großvater schluchzen. Er saß hinter mir auf dem Boden. Schon das verwirrte mich, denn normalerweise saß mein Opa Moses auf dem Sofa oder auf einem Stuhl, aber doch nicht auf dem Parkett. Und dann die Tränen in seinen Augen. Ich legte meine Arme um ihn, aber er drückte mich sanft weg und streichelte mir zitternd über den Kopf.
    »Adam«, sagte er.
    »Opa?«
    Er stöhnte oder seufzte. »Vor vielen Jahren hat hier schon mal ein Junge gesessen, der sah aus wie du. Er hatte keine Autos, sondern Zinnsoldaten. Er hieß Adam und war mein kleiner Bruder.«
    »Wo ist er?«
    Moses antwortete nicht.
    »Wo sind seine Soldaten?«
    »Soldaten sterben früh.« Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Edward, lass uns zu dem einzigen Gott beten, dass du nur Adams Äußeres geerbt hast und nicht seinen Charakter.«
    Opa betete ständig zu dem ›einzigen Gott‹, besuchte regelmäßig die Synagoge in der Pestalozzistraße und bestand auf koscherem Essen. Oma und Mama beteten fast nie, gingen nur selten in die Synagoge und aßen, worauf sie Lust hatten.
    Wir hockten auf dem Boden. Opas hebräische Gebete klangen wie das Meckern einer Ziege. Er steigert sich da in irgendwas rein, dachte ich, als wieder Tränen über seine Wangen liefen. Endlich kam meine Mutter nach Hause und setzte der Szene ein Ende. »Papa? Was macht ihr da?«
    »Wir beten, wegen Adam«, antwortete ich, weil Opa noch immer wie in Trance zu seinem einzigen Gott sprach.
    Meine Mutter seufzte, nahm Opa am Arm und zog ihn hoch. »Papa, komm.«
    Er ließ sich bereitwillig abführen.
    Der Mustang überschlug sich. Ich warf ihn zurück in die Kiste und zog einen Land Rover heraus,
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