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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand
Autoren: Amos Oz
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Schublade, schnüffelte unter den Matratzen, zwischen dem Bettzeug und in dem Haufen weißer Hemden seines Vaters, die noch des Bügelns harrten. Streichelte die Brokatbezüge. Befühlte die Silberleuchter und die Silberbecher für Kiddusch und Hawdala 31 und wog sie in der Hand. Strich über die Lackschicht, die die altmodischen Möbel überzog. Verglich die Serviertabletts. Legte unter der Musselindecke die stumme Singer-Nähmaschine seiner Mutter frei und entlockte dem Bechstein-Klavier einen einzelnen, hohlen Ton. Wählte einen Kristallkelch, schenkte sich französischen Cognac ein und hob sein Glas auf das Wohl der sechs Vasen, in denen aufrechte Gladiolen blühten. Entkleidete zellophanraschelnd eine erlesene Schweizer Pralinenschachtel und kostete eine feine Süßigkeit. Kitzelte mit einer schillernden Pfauenfeder, die er auf dem Schreibtisch gefunden hatte, die Kristallüster. Brachte mit besonderer Vorsicht das dünne Rosenthal-Service zu zartem, feinen Klingen. Durchstöberte die gestickten Servietten, die dezent nach Parfüm duftenden Taschentücher, die Batist- und Wollschals, die Reihe der Lederhandschuhe und die Auswahl an Schirmen, unter denen er auch einen alten, blauseidenen Sonnenschirm entdeckte, durchkämmte den Stapel italienischer Opernplatten, die sein Vater sich gern in voller Lautstärke auf dem Grammophon vorgespielt hatte, wobei er den Sängern dann mit seinem kantorreifen Tenor zu Hilfe kam – gelegentlich im Beisein einer oder zwei seiner Freundinnen, die ihn verzauberten Blicks anhimmelten, während sie mit abgespreiztem kleinen Finger ihren Tee nippten. Zog weiße Tafelservietten aus ihren vergoldeten Ringen, denen Davidsterne und dasWort Zion in hebräischen und auch lateinischen Buchstaben eingraviert waren. Musterte die Bilder an den Wänden des Salons, besonders eines, auf dem eine bildhübsche Zigeunerin einen Bären tanzen ließ, der zu lächeln schien. Befingerte die Bronzebüsten Herzls und Seew Jabotinskys, fragte beide höflich nach ihrem Wohlergehen heute nacht, schenkte sich noch einen Cognac ein und süßte mit einer weiteren Praline, entdeckte in einer entlegenen Schublade silberne, perlenbesetzte Schnupftabaksdosen und dazwischen plötzlich auch den Schildpattkamm, den seine Mutter sich im hellen Nacken ins Haar zu stecken pflegte. Nur die blaue Babystrickmütze mit dem weichen Bommel fand sich nirgendwo. Die Badewanne stand auf Löwentatzen aus mattem Kupfer, und auf der Konsole dahinter sah er ausländische Badesalzpackungen, allerlei Salben, Schönheitsmittel, mysteriöse Medikamente und Cremes. Und war überrascht, über einem Bügel ein Paar Seidenstrümpfe längst vergessener Machart mit Rückennaht vorzufinden, deren Anblick ihm plötzlich ein leichtes Flattern in den Lenden verursachte. Dann betrat er die Küche, prägte sich sogar den Inhalt von Kühlschrank und Brotkasten ein und ging ins Schlafzimmer weiter, wo er an der ebenfalls seidenen Bettwäsche, die linealgerade gefaltet auf den Borden lag, schnupperte. Einen Moment lang kam Fima sich wie ein beharrlicher Detektiv vor, der den Ort des Verbrechens systematisch Handbreit für Handbreit nach einem einzigen Indiz absucht, einem kleinen, aber entscheidenden Beweis. Doch welches Indiz war das? Welches Verbrechen? Fima zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber, weil sich von Minute zu Minute seine Stimmung besserte. All die Jahre über hatte er sich nach einem Ort gesehnt, an dem er sich wie zu Hause fühlen könnte, aber niemals hatte er diese Empfindung verspürt, nicht in der Kindheit, nicht auf seinen Reisen, nicht während der Ehe, nicht in der eigenen Wohnung, nicht in der gynäkologischen Praxis, nicht bei Freunden, weder in seiner Stadt noch in seinem Land noch in seiner Zeit. Vielleicht, weil das ein von vornherein unerfüllbarer Wunsch war. Außerhalb seiner Reichweite. Außerhalb unser aller Reichweite. Auch heute nacht, zwischen den zahllosen verlockenden Gegenständen, die stur die Hauptsache vor ihm verbargen, erschien ihm dieser Wunsch noch unerreichbar. Worauf er sich sagte: Gut. Exil. Und dem hinzufügte: Na wenn schon.
    König Richard, bei Shakespeare, hatte den vergeblichen Wunsch gehegt, ein Königreich für ein Pferd hinzugeben. Und Efraim Nissan war jetzt,gegen drei Uhr nachts, auf der Stelle bereit, seine gesamte Erbschaft für einen Tag, eine Stunde völliger innerer Freiheit mit dem Gefühl des Daheimseins einzutauschen. Obwohl sich der Verdacht bei ihm regte, daß zwischen
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