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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand
Autoren: Amos Oz
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die Schreibtische trübsinniger, auf dem Weg zum Weltruhm Anmerkungen hortender Forscher, und wir, die ihnen in verzweifelt hilfloser Verwirrung nachfolgen, Zwicka mit Kolumbus und der Kirche, Ted und Jael mit dem Düsenantrieb für Kraftfahrzeuge, Nina, die den Bankrott des orthodoxen Sexshops lenkt. Wahrhaftig, der mühsam ein Stück geordneten Staat in seiner Ausschabungshölle zu wahren sucht, Uri Gefen, der in der Welt herumreist, Frauen erobert und mit trauriger Ironie über seine Eroberungen lacht, Annetteund Tamar, die Sitzengelassenen, du selbst mit dem Herzen des Christentums, den Schleuderschwänzen, den nächtlichen Briefen an Jizchak Rabin und dem Preis der Gewalt im Zeitalter des moralischen Niedergangs. Und Dimmi nebst seinem abgeschlachteten Hund. Wohin bewegt sich all das? Wie ist es passiert, daß wir mit dem Krug angefangen haben und plötzlich beim Faß gelandet sind? Wohin ist jene Karla, unterwegs zur arischen Seite, verschwunden?
    Als sei das hier kein Wohnviertel und keine Stadt, sondern ein abgelegenes Lager von Walfängern, die sich am Ende der Welt an einem gottverlassenen Strand in Alaska festgesetzt, in der unendlichen Wildnis zwischen blutdürstigen Nomadenstämmen ein paar wackelige Häuser mit einem windschiefen Zaun hochgezogen haben und nun allesamt ausgefahren sind, um weit draußen im dunklen Meer einen Leviatan zu suchen. Der nicht da ist. Während Gott sie längst vergessen hat, wie ihm die Gastwirtin von gegenüber gestern gesagt hatte.
    Fast greifbar sah Fima sich allein dastehen und in finsterer Nacht das verlassene Walfängerlager bewachen. Eine schwache Kerosinlampe schwankt an der Spitze einer Stange im Wind, flackert im Dunkel, beinah ersterbend in den schwarzen Weiten, und außer ihr kein Licht entlang der pazifischen Öde, die sich nach Norden bis zum Pol und nach Süden bis ans Ende von Feuerland ausdehnt – ein einziges, absurdes Glühwürmchen. Der Ort, wo er stand, weiß von ihm nichts mehr. Und doch – Goldlicht. Das du so weit wie möglich erhalten mußt. Damit es nicht aufhört, inmitten der froststarren Felder unterhalb der Gletscher und Schneewehen zu blinken. Du hast die Pflicht, darüber zu wachen. Damit es nicht feucht wird. Nicht verlöscht. Nicht vom Wind ausgeblasen wird. Zumindest solange du noch hier bist, und bis Joeser kommt. Obwohl sich fragt, wer du bist und was du bist und was du mit den Walfängern zu tun hast, die es nie und nimmer gegeben hat, du mit deinen kurzsichtigen Augen, den schlaffen Muskeln, den fetten Männerbrüsten, mit deinem lächerlichen, plumpen Körper. Du trägst jetzt die Verantwortung.
    Aber in welcher Hinsicht?
    Er steckte die Hand in die Tasche, um eine Tablette gegen Sodbrennen zu suchen. Doch anstelle des kleinen Blechdöschens brachten seine Finger den Silberohrring zum Vorschein, der einen Augenblick wie verzaubert in dem Lichtschein aus dem Zimmer hinter ihm aufblitzte. Als er diesen Ohrring ins Herz der Dunkelheit warf, meinte er Jaels spöttische Stimme zu hören: »Dein Problem, mein Lieber.«
    Und er antwortete, das Gesicht der Nacht zugewandt, in leisem bestimmten Ton: »Stimmt. Mein Problem. Und ich werde es auch lösen.«
    Wieder grinste er sich eins. Aber diesmal war es nicht sein reguläres, armseliges, verlegenes Grinsen, sondern das erstaunte Lippenschürzen eines Menschen, der lange Zeit vergebens eine komplizierte Antwort auf eine komplizierte Frage gesucht und nun plötzlich eine einfache Antwort offenbart bekommen hat.
    Damit drehte er sich um und ging wieder nach drinnen. Sofort entdeckte er Jael, die – Knie an Knie auf dem Sofa – in ein Gespräch mit Uri Gefen vertieft war. Fima schien, bei seinem Eintreten sei ein Lachen auf ihrer beider Lippen erstarrt. Aber er empfand keine Eifersucht. Im Gegenteil regte sich bei ihm insgeheim Heiterkeit bei dem Gedanken, daß er eigentlich schon mit jeder der hier im Zimmer anwesenden Frauen geschlafen hatte, mit Schula, Nina und Jael. Und gestern mit Annette Tadmor. Und morgen war ein neuer Tag.
    Im selben Moment sah er Dimmi auf der Teppichkante knien – ein altkluges, philosophisches Kind – und mit einem Finger langsam Baruchs riesige, von innen elektrisch beleuchtete Erdkugel drehen. Die Glühbirne färbte die Ozeane tiefblau und die Landflächen golden. Der Junge wirkte konzentriert, entrückt, wissend, was vor ihm stand. Und Fima verzeichnete in Gedanken, wie jemand, der sich ins Gedächtnis einprägt, wo ein Koffer steht oder wo der Stromschalter
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