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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand
Autoren: Amos Oz
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Israel zu erlösen: Das ist doch genau der Dornenstrauch aus Jotams Fabel.«
    Fima, der damals etwa sechzehn Jahre gewesen war, lächelte in der Dunkelheit vor sich hin, als er daran dachte, wie verblüfft er seinerzeit festgestellt hatte, daß Ben Gurion kleiner als er war und Bauch, roten Dickschädel, kurze Beine und die Kreischstimme einer Marktfrau besaß. Was hatte sein Vater dem Staatschef sagen wollen? Was würde er selbst ihm jetzt nach allem sagen? Und wer war eigentlich jener Lufatin oder Lufatkin, der den Schutz Galiläas vernachlässigte?
    Es hätte doch auch sein können, daß das Kind, das Jael nicht haben wollte, zu einem Mann von Weltruhm herangewachsen wäre.
    Oder Dimmi?
    Plötzlich, wie in jährer Erleuchtung, begriff Fima, daß gerade Jael mit ihren Forschungen über den Düsenantrieb für Kraftfahrzeuge wohl mehr als wir alle dem nahegekommen war, was Baruch sich sein Leben lang von ihm, Fima, erträumt hatte. Und er fragte sich, ob nicht er selbst eine Art Dornenstrauch aus der Fabel Jotams war? Zwicka und Uri, Teddy, Nina und Jael – alles Bäume, die Frucht tragen. Und nur du, du Eugen Onegin von Kiriat Jovel, läufst in der Welt herum und produzierst Unsinn und Lüge. Schwatzt und belästigst alle andern. Polemisierst mit Kakerlaken und Schleuderschwänzen.
    Aber warum sollte er nicht den Entschluß fassen, von heute, von morgen an den Rest seines Lebens darauf zu verwenden, es ihnen leichter zu machen? Er würde die Erziehung des Kindes auf sich nehmen. Kochen und waschen lernen. Jeden Morgen die Buntstifte auf dem Reißbrett anspitzen. Gelegentlich das schwarze Farbband in ihrem Computer wechseln – so ein Computer ein Farbband hatte. Und so könnte er demütig, wie ein namenloser Soldat, seinen bescheidenen Beitrag zu der Anstrengung leisten, den Düsenantrieb zu verbessern und Weltruhm zu erlangen.
    In seiner Kindheit waren hier in Rechavia an lauen Sommerabenden hinter geschlossenen Fensterläden vereinzelte Klaviertöne erklungen. Die Wüstenluft selbst hatte diese Klänge gewissermaßen zum Gespött gemacht. Und jetzt war keine Spur mehr von ihnen übrig. Ben Gurion und Lufatin waren tot. Tot auch die geflüchteten Gelehrten mit ihren Hüten und Fliegen. Und zwischen ihnen und Joeser lügen, huren und morden wir. Was ist übriggeblieben? Pinien und Stille. Und auch zerbröselnde deutsche Bücher, auf deren Rücken die Goldlettern bereits dunkel geworden sind.
    Plötzlich mußte Fima Tränen der Sehnsucht unterdrücken. Nicht Sehnsucht nach den Toten, nicht nach dem, was hier war und nicht mehr ist, sondern nach dem, was hier vielleicht hätte sein können, aber nicht ist und auch nie mehr sein wird. Ihm kamen die Worte »Der Ort, wo er stand, weiß von ihm nichts mehr« in den Sinn, obwohl er sich trotz aller Anstrengungen nicht erinnern konnte, von wem er vor zwei, drei Tagen diesen furchtbaren Ausdruck gehört hatte.
    Der ihm jetzt eindringlich und treffend vorkam.
    Die Minarette auf den Anhöhen rings um Jerusalem, die Ruinen, die Quadermauern um zusammengeduckte Klöster, die spitzen Glasscherben oben auf diesen Mauern, die schweren Eisentore, die vergitterten Fenster, die Keller, die dämmrigen Nischen, das fanatische, Ränke schmiedende Jerusalem, das bis zum Hals in Alpträumen über gesteinigte Propheten, gekreuzigte Heilande und aufgeschlitzte Erlöser steckt, ringsum die Nacktheit der Berge und dürren Felsflächen, die Leere der durch Höhlen und Spalten zerklüfteten Hänge, konvertierte Olivenbäume, die beinah das Baumsein aufgegeben und sich in das Reich der unbelebten Dinge eingereiht haben, einsame Steinhütten am Rand tief eingeschnittener Schluchten, und dahinter die großen Wüsten, die sich von hier nach Süden bis zum Tor der Tränen, nach Osten bis Mesopotamien und nach Norden bis Hamat und Tadmor erstrecken, Länder der Ottern und Nattern, Weiten der Kreide und des Salzes, Verstecke der Nomaden mit ihren schwarzen Ziegen und den Rachedolchen in den Falten ihrer Burnusse, dunkle Wüstenzelte, und mitten zwischen all dem eingeschlossen Rechavia mit den wehmütigen Klaviertönen in kleinen Zimmern gegen Abend, seine zerbrechlichen Gelehrten, die Regale voll deutscher Bücher, die guten Manieren, das Hütelüpfen, die Mittagsruhe von eins bis fünf, die Kristallüster, die hochglanzpolierten Diasporamöbel, die Brokat- und Lederbezüge, das Kristall, die Truhen, die russische Hitzigkeit meines Vaters und Ben Gurions und Lufatins, die mönchischen Lichtkegel um
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