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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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Politologe Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität.
    Das grausame Ringen hatte gezeigt, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht mächtig genug war, einen Oberherrschaftsanspruch für Europa aufrechtzuerhalten. Doch Spanien und Frankreich konnten das auch nicht. Gerade deshalb gilt das 1648 besiegelte Vertragswerk vielen Politikwissenschaftlern bis heute als epochal: Es begründete ein Staatensystem, das jahrhundertelang Bestand hatte, ja in Grundzügen sogar bis heute fortdauert.
    Längst ist das »Westphalian System« ein fester Begriff der politikwissenschaftlichen Debatte. »Der Frieden von Westfalen«, lobt etwa der US-Politologe Stephen Krasner, »wird benutzt, um den Beginn des modernen internationalen Systems als eines Universums zu markieren, welches aus souveränen Staaten gebildet wird.« Nur die »kleinteilige deutsche Historiografie« meide die Bezeichnung, grollt Münkler. Kernbotschaft des Systems Westfalen scheint zu sein, dass auf der internationalen Bühne der souveräne Staat die entscheidende Rolle spielt. Der Historiker Johannes Burkhardt spricht vom »völkerrechtlichen Modellwechsel zu einem Nebeneinander gleichberechtigter Staaten mittlerer Größenordnung«. Alle Beteiligten hätten anerkennen müssen, »dass die Mehrstaatlichkeit nicht ‚Anarchie‘ oder eine zu beseitigende politische Fehlform war, sondern die künftige politische Ordnung sein würde«.
    Das Westfälische System, beruhend auf den Prinzipien der Territorialität und der Selbstbestimmung, sei »einfach, faszinierend und elegant«, führt Stephen Krasner aus. Niemand kann sich zum Chef über Europa aufschwingen – weder Papst noch Kaiser, weder Frankreich noch Spanien. Das war in der Tat eine wichtige Erkenntnis. Zwar wurden die Friedensverträge eigentlich nur zwischen dem Kaiser und Schweden sowie dem Kaiser und Frankreich geschlossen, doch de facto stimmten auch die Reichsstände zu, also die weltlichen und geistlichen Fürsten der deutschen Einzelterritorien, und die freien Reichsstädte. Und weil die Regeln auch die Verbündeten der Vertragspartner betrafen, band der Westfälische Frieden quasi alle europäischen Staaten.
    Wichtige gedankliche Vorarbeit geleistet hatte ein Mann, der vielen auch als Begründer der modernen Völkerrechtslehre gilt. Der Niederländer Hugo Grotius war 1645 gestorben. Sein Büchlein »Mare Liberum« (»Die freie See«) hatte 1609 das Konzept der Freien Seefahrt etabliert. So sollte sein niederländisches Vaterland Zugang zum Handel auf den Ozeanen erhalten, der bis dahin von Spaniern und Portugiesen beherrscht worden war. Und in seinem Hauptwerk »De iure belli ac pacis« (»Über das Recht des Krieges und des Friedens«) erklärte der fromme Gelehrte 1625: »Ein gerechter Grund zum Krieg kann nur eine Rechtsverletzung sein.«
    Besser sei es freilich, wenn die Kriege gar nicht erst ausbrächen – weil die Probleme vorher durch Verträge geregelt worden seien. Der Westfälische Frieden folgte dieser Idee; so habe Grotius »wichtigen Gedanken zum Durchbruch verholfen«, lobt Politologe Münkler. Doch wurde in Münster und Osnabrück tatsächlich das moderne Staatensystem geboren? Darf man die Verträge als Stunde null der internationalen Ordnung interpretieren?
    Der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat zeigt sich zurückhaltend. Der Westfälische Frieden sei bestenfalls ein kleiner Teil eines langwierigen Vorgangs. Außerdem: »Das Wort Souveränität steht nirgends in den Verträgen.« Auch Grotius halte er für überbewertet, sagt Tomuschat. Für einen modernen Juristen gründe sich dessen Werk viel zu stark auf christliche Glaubenssätze. Zudem gebe es durchaus Vorbilder für Münster und Osnabrück, erklärt der Jurist. Schon früher habe es zwischenstaatliche Friedensverträge gegeben, etwa zwischen Spanien und Frankreich oder Spanien und England. Außerdem habe man außereuropäische Staaten 1648 gar nicht anerkannt, die Türkei zum Beispiel. »Für die Weltgeschichte des Völkerrechts hat der Frieden keine zentrale Bedeutung«, folgert Tomuschat; er sieht den Ruhm als »nachträgliche Überhöhung«.
    Wie viele epochale Ereignisse ist auch der Westfälische Frieden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu gedeutet worden – aus ganz verschiedenen parteilichen Blickwinkeln. Zeitgenossen feierten die langersehnte Friedensnachricht mit rauschenden Festen und Feuerwerken. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts geriet das Vertragswerk in
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