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Operation Blackmail

Operation Blackmail

Titel: Operation Blackmail
Autoren: Jenk Saborowski
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KAPITEL 1
    Paris, Avenue Friedland
    Tag 0: Freitag, 4. Januar, 08:34 Uhr
    Leonid Mikanas blies warmen Rauch hinaus in die nasskalte
Luft des verregneten Pariser Januarmorgens. Wie immer drückte er seine
Zigarette so kunstfertig aus, dass sie neben den anderen vierzehn im
Aschenbecher auf der Spitze stehen blieb. Um den beißenden Tabakgeschmack von
seiner Zunge zu vertreiben, nahm er einen Schluck aus der mitgebrachten
Wasserflasche und kontrollierte zum wiederholten Mal die Einstellung seines
Zielfernrohrs. Dabei ließ er das renommierte Bankhaus auf der
gegenüberliegenden Straßenseite nicht aus den Augen. Er beobachtete geduldig,
wie sich die Angestellten durch die Drehtüren vor dem Regen in Sicherheit
brachten. Einer nach dem anderen, wie die Glieder einer Kette. Mit einem Blick
auf die kleine Stofffahne, die er an einer Straßenlaterne gegenüber angebracht
hatte, analysierte er den Wind, berechnete im Kopf zentimetergenau die
Abweichung des Projektils. Obwohl es nicht notwendig war, sah er noch einmal
kurz hinüber zum Foto seines Zielobjekts, das er mit einem Reißnagel am Fensterbrett
fixiert hatte. Die Frau war hübsch, auf dem Foto wirkte sie gelöst und lachte,
war sich der heimlichen Aufnahme nicht bewusst. Während der letzten Woche hatte
er sich ihr Gesicht anhand vieler ähnlicher Bilder genau eingeprägt. Seine
Vorbereitungen waren abgeschlossen, er atmete zunehmend flacher, bis kaum noch
eine Bewegung seines Brustkorbs wahrzunehmen war, den Personaleingang der Bank
im Visier.
    Da war sie. Sein Ziel. Ohne Zweifel. Sie machte einen gehetzten
Eindruck, als sie sich in die kurze Schlange einreihte, die sich vor der
Drehtür gebildet hatte. Ihm blieb nicht viel Zeit. Das Fadenkreuz seines
Zielfernrohrs tanzte kaum merklich um das Zentrum ihres Hinterkopfs. Wie immer,
wenn er im Begriff war zu töten, fühlte er das Adrenalin pulsierend durch seine
Venen jagen. »Für dich, Mischa«, flüsterte er kaum hörbar. Der Profi in ihm zog
ohne das geringste Zögern den Abzug durch.
    Durch die Optik beobachtete er, wie ihr Kopf von der Wucht der Kugel
zur Seite geschleudert wurde, ihre Gesichtsmuskeln zuckten den erstaunten Tanz
eines unerwarteten Todes. Die Menschen um sie herum stoben panisch auseinander,
ihr Körper stürzte, schlug auf den Asphalt und lag grotesk verdreht in einer
roten Pfütze aus Blut, die schnell größer wurde.
    Wie es ihm sein Ausbilder vor mehr als dreißig Jahren beigebracht
hatte, sammelte Leonid Mikanas seine Patronenhülse ein, zerlegte die Waffe und
verstaute sie in einer unauffälligen schwarzen Nylontasche. Sein Blick fiel auf
den Aschenbecher mit den fünfzehn kerzengerade aufgestellten Zigarettenkippen.
Ganz nach seiner Gewohnheit schnippte er mit dem rechten Zeigefinger die Erste
an, woraufhin alle anderen der Reihe nach umfielen wie Dominosteine. Er hatte
seinen Auftrag erfüllt.
    KAPITEL 2
    Paris, Boulevard Haussmann
    Tag 0: Freitag, 4. Januar, 08:52 Uhr
    Im Café Friedland balancierte Marcel Lesoille unruhig auf
den hinteren Beinen seines Stuhls und stocherte frustriert in seinem
weichgekochten Ei. Ihn plagten heftige Gewissensbisse, im Grunde hatte er
bereits gestern gewusst, dass Linda ausrasten würde. Seine Lebensgefährtin saß
ihm in diesem Moment gegenüber und schielte ihn aus wütend zusammengekniffenen
Augen an, ihr Frühstück hatte sie noch nicht angerührt. Natürlich war sie
sauer, aber schließlich ging es um seine Leidenschaft, damit würde sie sich
abfinden müssen. Er erinnerte sich an ihren letzten Streit vor wenigen Wochen.
Wie immer war es um seine beruflichen Ambitionen gegangen. Oder besser: ihr
Fehlen. Er wusste, dass sie seit einem halben Jahr auf den Antrag wartete. Mit
Ring, Stein und allem, was dazugehört. Bringen wir erst mal diese Kuh vom Eis,
nahm er sich vor, dann sehen wir weiter. Er konnte nicht gut mit ihr streiten.
    Â»Hör mal, Linda«, brach er gepresst das Schweigen. »Es ist ja nicht
so, dass ich das Geld versoffen hätte. Mir ist es ernst, ich möchte damit
später mal meine Brötchen verdienen. Für uns. Oder traust du mir das nicht zu?«
Ihre Stimmungslage war nach wie vor frostig und kühlte weiter ab, er musste es
mit einer anderen Taktik versuchen: »Außerdem gibt mir mein Vater auch einen
Anteil dazu.«
    Â»Aha. Wenn ich mich recht entsinne, kann sich dein Vater nicht
einmal einen neuen Anzug leisten.
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