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Der dicke Löwe kommt zuletzt

Der dicke Löwe kommt zuletzt

Titel: Der dicke Löwe kommt zuletzt
Autoren: Max Kruse
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Wünsche und Gedanken, die jeder gern für sich behält.

Der Scheich

    Bevor der Sultan am Ufer der Glücklichen Insel anlegte, schärfte er dem Kamel ein letztes Mal eindringlich ein, niemals jemandem zu verraten, wer sie seien. »Niemandem, wer immer es ist!« sagte er beschwörend.
    »Ich bin ja nicht taub«, brummte das Kamel. »Und daß ich des Sultans Lieblingskamel bin, darf ich auch nicht sagen? Ich werde wirklich nicht gern mit jedem gewöhnlichen Trampeltier verwechselt! Aber ich glaube, angeborene Vornehmheit läßt sich kaum verbergen!«
    Langsam glitt die Jacht in die Bucht. Höher und höher stieg der Vulkankegel über ihnen empor — und das Tal öffnete sich weit und grün vor ihren Augen.
    Ka beobachtete von seinem Blattversteck aus, wie sie anlegten und aus dem schwankenden Schiff kletterten, nachdem sie es an einem Baumstamm in Ufernähe vertäut hatten.
    Der Sultan schaute sich um. Er reckte sich und machte einige Kniebeugen. Die Luft war morgenfrisch. Seltsam erschien es ihm, daß sie keinen Laut hörten und kein Wesen sahen. »Läge dieses morsche Ruderboot nicht hier und stände das Zelt nicht auf dem Hügel, würde ich die Insel für unbewohnt halten«, brummte er. Er schritt die Anhöhe empor.

    Bald waren sie hinaufgelangt. Auch hier war kein Laut zu hören.
    Der Sultan räusperte sich. — Nichts! Er legte sein Ohr an die Zeltleinwand. »Hm«, meinte er, »entweder schnaufst du hinter mir, oder der Bewohner des Zeltes schnarcht noch!«
    »Mein Atmen ist kein Schnarchen!« empörte sich das Kamel.
    Nun rekelte und räusperte sich jemand innen. Der Sultan trat höflich einen Schritt zurück.
    »Wer ist da?« fragte eine verschlafene Stimme unfreundlich. »Wie kommst du Mistkerl überhaupt raus? Du willst wohl ausgepeitscht werden?«
    »Oh, Verzeihung«, antwortete der Sultan. »Wir sind Fremde und wollten nicht stören!«
    Da wurde die Zeltwand aufgeschlagen. Ein hagerer Mann, dem man sein Alter nicht ansehen konnte, bückte sich unter dem Durchlaß und trat hinaus. Er trug einen weiten, verschmutzten Umhang. Seine Haare und sein Bart wucherten so wild, daß sein Gesicht nicht zu erkennen war. Nur die Augen brannten wie glühende Kohlen.
    Erschrocken trat das Kamel zurück.
    Den Mann schien das Licht der Sonne zu schmerzen. Er kniff die Augen zusammen. Er war wohl verblüfft über diesen Besuch. Aber er faßte sich schnell. »Ach so«, sagte er, »ihr seid eben gelandet! Also — immer herein in mein Zelt!«
    Er drehte sich um und ließ die Zeltwand hinter sich zusammenfallen, ohne sich weiter um die beiden zu kümmern. Der Sultan und das Kamel sahen sich verblüfft an — dann aber folgten sie ihm durch die schmale, niedrige Öffnung.
    Die Sonne leuchtete gedämpft durch den Stoff. Ein angenehm mildes Licht tauchte alle Dinge in einen sonderbaren Schein. Der Innenraum war mit bunten herumliegenden Teppichen fast üppig ausgestattet, an einer Seite befand sich ein Lager mit zerwühlten Decken und Kissen. Auf einem niedrigen Tisch in der Mitte standen die Reste eines üppigen Mahles — wahrscheinlich vom gestrigen Abend.
    Im Zeltdach hingen zahlreiche Glasampeln in verschiedenen Farben: rote, grüne, gelbe und blaue, die der sonderbare Mann jetzt anzündete. Er schien seine Gäste vergessen zu haben.
    »Sind Sie der Scheich der Glücklichen Insel?« fragte der Sultan.
    »Erraten!« lautete die Antwort. »Und ihr zwei habt die Welt satt und wollt in meinem Paradies leben? So setzt euch doch!«
    Der Sultan hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Aber er schwieg abwartend und ließ sich mit gekreuzten Beinen auf einem Teppich nieder. Das Kamel lagerte sich stumm neben ihn.
    Von den Kerzen in den bunten Ampeln stieg ein bläulicher Rauch auf, der langsam herniedersank und sich im Raum verteilte. Es war ein angenehm süßer, müde und gleichgültig machender Duft.
    Der Sultan spürte eine wohltuende Schwere in den Gliedern. Er dachte, daß die lange Nachtfahrt ihn doch sehr erschöpft habe.
    Ihr Gastgeber bereitete in einer dunklen Ecke des Zeltes Tee. Dort brodelte ein Kessel. Der Scheich reichte dem Kamel eine flache Schale, dem Sultan eine Porzellantasse. Das Gebräu schmeckte seltsam, ganz anders als irgendeines, das der Sultan jemals getrunken hatte.
    Das Kamel, das seinen Hals sonst so hochmütig reckte, ließ ihn allmählich sinken. Es sah aus, als sei ein Blumenstengel welk geworden. Seine Augenlider schlossen sich. Es riß sie erschrocken wieder auf. Doch die Mattigkeit siegte.
    Es
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