Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
Vom Netzwerk:
Kinn. In dem Blubbern war kein Wort zu verstehen.
    In dem Moment öffnete sich eine Tür im Hintergrund des Raumes. Und die Frau, die eben zu den Zuschauern gesprochen hatte,
     betrat die gekachelte Kammer.
    Flo zuckte zusammen. Hatte sie nicht eben gesagt, es seien Aufnahmen aus den USA? Und dieses Research Center soll einer Deutschen
     erlaubt haben, bei einer solchen Behandlung dabeizusein? Das Ganze war doch nichts anderes als eine hinterhältige Suggestion!
    Er sah sich im Halbdunkel des Vorführraums um. Ihm war flau von den Bildern, er wollte sich setzen. Aber es gab weder Kinosessel
     noch Stühle in dem fensterlosen Kellerraum. Er hatte zwar gesagt, dass er sich die Vorführung ansehen würde. Aber warum sollte
     er sich das antun? Konnte er nicht einfach gehen, bevor er diese Bilder nie mehr aus dem Kopf bekam?
    Auf der Leinwand war jetzt groß das Gesicht des Jungen zu sehen, der bleich auf der Pritsche lag – niedergepresst durch die
     Riemen, nass von dem Waschlappen, zitternd vor Kälte. Um seine Augen hatten sich schwarze Schatten gebildet. Der Arzt setzte
     ihm einen Becher an die aufgesprungenen Lippen. Die Flüssigkeit floss an den Drähten vorbei in den Mund, tropfte aus den Mundwinkeln
     heraus.
    Der Ausschnitt weitete sich, und die Frau kam ins Bild. Sie nickte dem Mann im Kittel zu und wandte sich wieder an die Zuschauer.
     »Das hier ist kein Spielfilm und keine Aufzeichnung«, sagte sie, »sondern eine Übertragung übers Internet – und zwar live.«
    Florian musste hart schlucken, in seiner Kehle klicktees. Eine Live-Übertragung? Hieß das, dass sie so lange weitermachten, wie hier im Raum Leute zusahen? Damit wollte er nichts
     zu tun haben! Fieberhaft begann er, mit den Augen das Halbdunkel nach dem Ausgang abzusuchen, durch den er verschwinden konnte.
     Erst jetzt sah er, dass einige Zuschauer bereits zu der schweren Eisentür strebten, durch die sie in den Keller hineingekommen
     waren, dass sie sich davor stauten, daran zu schaffen machten, vergeblich daran rüttelten. Flo fühlte Wut in sich aufsteigen.
     Was war hier los? Hatte man sie in dem Scheißkeller etwa
eingeschlossen
?
    Da hörte er wieder die Stimme der jungen Frau von der Leinwand. »Die Übertragung, die Sie hier sehen, wird an ausgewählte
     Kunden verkauft. Teuer. Diskret. Und in erstklassiger Qualität. Normalerweise sind die Stromschläge um ein Vielfaches schwächer.
     Heute aber werden wir weitergehen als sonst.«
    Flo blickte zurück auf die Leinwand. Was redete sie da? Was sollte das denn? Warum hörten sie nicht endlich auf, den armen
     Teufel auf der Pritsche zu quälen?
    In dem Moment wechselte das Bild erneut. Eine Eisentür wurde auf der Leinwand sichtbar. Florian keuchte. Das war doch der
     Eingang, durch den er vorhin in den Keller gelangt war, in dem er sich gerade befand! Ein Mann war zu sehen, der vor der Eisentür
     auftauchte und dem Türsteher das Passwort nannte.
    Flo prallte zurück. Der Mann – das war ja er! Es waren Aufnahmen von ihm vor fünfzehn Minuten, als er angekommen war, sein
     Passwort gesagt und den Keller betreten hatte! Sein Gesicht war deutlich zu erkennen!
    Gleichzeitig hörte er die Frau sagen: »Heute werdenwir in Bereiche vorstoßen, in die wir uns bisher nicht gewagt haben. Und zwar seinetwegen. Florian Baumgartner. Er ist unser
     bester Kunde. Er hat uns darum gebeten.«
    Entsetzt schrie Flo auf. Was hatte er denn mit dieser entsetzlichen Übertragung zu tun? »Das stimmt doch gar nicht! Hören
     Sie auf! Ich will das nicht!« Laut dröhnte seine Stimme in dem niedrigen, stickigen Kellergewölbe, das im selben Augenblick
     in grelles, gleißendes Licht getaucht wurde – Licht aus Dutzenden von Neonröhren, die schlagartig an der Decke des Gewölbes
     aufflammten.
    Geblendet riss Florian die Hände über die Augen, wollte sie abschirmen – und nahm gleichzeitig wahr, wie sich die anderen
     Zuschauer zu ihm umdrehten, wie sich Ekel und Empörung in ihrem Blick mischten. Sie glaubten der Frau!
    Er wollte etwas sagen, sich verteidigen, das Missverständnis aufklären, doch sein Mund gehorchte ihm nicht. Die Blicke der
     anderen schienen ihn glatt zu durchbohren. Verzweifelt riss er seinen Mantel hoch, bis übers Gesicht, nur um sich vor diesen
     Blicken, vor diesem Licht zu verbergen – während gleichzeitig aus den Lautsprechern zu hören war, wie es erneut knallte und
     der Junge auf der Leinwand, von einem dritten Stromstoß durchzuckt, die Zähne so hart aufeinanderschlug,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher