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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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des Jungen klatscht zurück auf die Pritsche, unter den Pflastern tritt verschmorter Blutsud hervor.
    Der Arzt löst das Pflaster von der Zungenspitze des Jungen. Rohes Fleisch kommt zum Vorschein, an den Wundrändern haben sich
     Hitzeblasen gebildet. Statt die Zunge zurück in den Mund zu ziehen, lässt der Junge sie schlaff heraushängen. Er starrt dem
     Arzt ins Gesicht. Sein Atem geht jetzt pfeifend und stoßweise.
    Der Arzt löst auch das andere Pflaster. Die Brustwarze scheint sich vollständig vom Körper gelöst zu haben und schwimmt auf
     einem blutigen Schweißfilm.
    Der Arzt untersucht die Augen seines Opfers. Das Weiße ist von geplatzten Äderchen durchschossen. Er entnimmt der Schublade
     des Rolltisches ein Portionierfläschchen und träufelt dem Jungen ein wenig Flüssigkeit in die ausgetrockneten Tränenkanäle.
    Florian Baumgartner atmete durch. Wie nannten sie das?
Torture Porn
? Das war alles, was David zu bieten hatte? Flo hasste diese Blut- und Gewaltorgien. Sie betäubten ihn, machten ihn stumpf
     im Kopf und gaben ihm das Gefühl, etwas Falsches zu tun, etwas Unrechtes. Etwas, wofür er sich schämen musste.
    Wieder waren ein Knall, das Prasseln und Knistern ausden Lautsprechern zu hören. Der Arzt hatte einen neuen Stromstoß ausgelöst. Flo blickte zwar auf die Leinwand, aber er vermied
     es, sich auf die gezeigten Bilder zu konzentrieren.
    Seine Gedanken schweiften ab. Für diesen Trash hatten sie all die Sicherheitsvorkehrungen getroffen? Er hatte sich für die
     Vorführung persönlich anmelden müssen und ein Passwort gemailt bekommen, das er hier am Eingang einem Türsteher aufsagen musste.
     Allein den Keller zu finden, in dem sie den Film zeigten, war eine Herausforderung gewesen. Ein heruntergekommenes Fabrikgebäude
     in Oberschöneweide, einer Gegend, in der er noch nie gewesen war.
    Verstohlen blickte er sich im Halbdunkel des Raumes um. Im Widerschein der Projektion konnte er die anderen Zuschauer nur
     schemenhaft erkennen. Die meisten schienen zwischen dreißig und vierzig zu sein. Anzüge, Jeans, Mäntel, Pullover. Die Leute
     wirkten ganz normal, nicht wie Freaks auf der Suche nach einem verbotenen Kick. Aber das Publikum war ja auch handverlesen,
     vielleicht gab es in anderen Vorführungen ganz andere Leute.
    Sein Blick wanderte zurück auf die Leinwand. Ihm fiel auf, dass die Bilder zwar den körnigen Look eines echten Zelluloidstreifens
     hatten, aber nicht von einem Filmprojektor auf die Leinwand geworfen wurden, sondern von einem Beamer, der auf einer kleinen
     Platte direkt unterhalb der niedrigen Decke angebracht war. Wenn das, was sie hier sahen, kein richtiger Filmstreifen war,
     sondern ein Video, eine avi-Datei oder sonst was, warum dann diese altmodische Vorführung in einer Art Kino, auch wenn es
     so etwas wie ein Geheimkino war? Warumwurden die Bilder nicht einfach im Internet gezeigt, geschützt durch ein Passwort – genauso wie hier   –, aber mit viel geringerem Aufwand?
    Florians Aufmerksamkeit wurde erneut vom Geschehen auf der Leinwand gefesselt. Das Bild begann zu flackern, Perforationslöcher
     blitzten auf, der Ton setzte aus. Im nächsten Augenblick war eine junge Frau im Bild zu sehen. Sie sprach direkt in die Kamera.
     »Die Aufnahmen aus der gekachelten Kammer, die Sie eben gesehen haben«, sagte sie, »stammen aus dem Behavior Research Center
     in Massachusetts, USA.   Dort werden schwer erziehbare und autoaggressive Jugendliche mit Elektroschocks behandelt, damit sie sich nicht selbst verstümmeln.
     Eine umstrittene Praxis. Eine Praxis, die tödlich sein kann. Eine Praxis, an der nicht nur deutsche Ärzte, sondern auch deutsche
     Patienten beteiligt sind.«
    Flo verschränkte die Arme. Waren die Aufnahmen wirklich echt? Oder war das nur ein Trick, um den Zuschauern einen besonders
     heftigen Schauer über den Rücken zu jagen? Aber es gab keine Schnitte in dem Filmmaterial, wie sollten das Blut und die Verletzungen
     des Jungen also getrickst worden sein? Waren die Bilder digital nachbearbeitet worden, damit man die Schnitte nicht mehr erkannte?
    Erneut blendete der Film in den gekachelten Raum über. Die Elektroden waren diesmal an den Zähnen des Jungen befestigt. Der
     Mann rieb den Körper seines Opfers mit einem feuchten Waschlappen ab. Der Junge zitterte, das Wasser musste eiskalt sein.
     Mitfühlend sah ihm der Mann in die Augen. Der Junge versuchte erneut, etwas zu sagen. Dickflüssiges Blut, mit Speichel vermengt,
     rannihm übers
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