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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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wiedersehen
     würde?
     
    Das erste Mal waren sie sich begegnet, als sie beide noch Kinder waren. Erst wenige Tage zuvor war Florian mit seinen Eltern
     in die Kleinstadt gezogen, in der sein Vater eine Anstellung als Gymnasiallehrer bekommen hatte. Sie hatten eine schöne Wohnung
     in einem Mietshaus gefunden, an dessen Ecke sich eine Kneipe befand. Und diese Eckkneipe betrieb niemand anderer als Davids
     Vater, der mit seiner Familie – der Frau, den beiden Töchtern und David, dem Jüngsten – in der Wohnung über der Kneipe wohnte.
    Zuerst begegnete Florian David nur hin und wieder im Treppenhaus. Eines Tages aber stellte sich heraus, dass sie beide in
     den letzten Monaten eine beachtliche Sammlung von Miniatursoldaten, Plastikpanzern und Modellflugzeugen aufgebaut hatten.
     Damals   – Ende der Siebziger – haftete dem Spiel mit Armeen noch nicht der Ruch des politisch Unkorrekten an. Und so wurde die Passion
     der beiden Jungen von den Eltern auch gleichmütig hingenommen. Für David und ihn aber war dieser Zeitvertreib mehr als nur
     ein Spiel unter vielen. Für sie war es der Grundstein ihrer Freundschaft, denn es brachte die wunderbare Möglichkeit mit sich,
     nachmittagelang Truppen gegeneinander aufmarschieren zu lassen, Taschengelder in beliebiger Höhe für eine endlose Aufrüstungsspirale
     zu verschleudern und sich in immer ausgefeiltere Modellbautechniken zu versteigen.
    Bald lernten sich auch ihre Eltern flüchtig kennen, teiltendie Freundschaft der Söhne jedoch nicht. Denn immer wieder wurde gemunkelt, dass der alte Mosbach nicht nur trinken, sondern
     im Suff auch seine Frau schlagen würde. Mit solchen Leuten wollten die Baumgartners nun wirklich nichts zu tun haben. Flo
     aber empfand es als umso reizvoller, wenn David ihn zu sich einlud und sie auf Zehenspitzen durch die Wohnung schleichen mussten,
     weil der alte Mosbach noch schlief.
    Unzertrennlich wurden sie jedoch durch etwas anderes. Und zwar durch ihre Begegnung mit der Welt des Kinos und der Filme –
     eine Begegnung, die ihr Leben von Grund auf verändern sollte. Natürlich war es David, der als Erster entdeckte, was für ein
     schier unüberblickbares Abenteuer-Universum sich einem eröffnete, wenn man die Welt des Kinos betrat. Schon immer war er derjenige,
     der ihren Spielen mit seinen Ideen neue Impulse verlieh, während Flo, der Ältere und Vorsichtigere, sich von Davids verrückten
     Einfällen gern anstecken ließ. So war er auch gleich Feuer und Flamme, als David vorschlug, Woche für Woche in die Lichtspielhäuser
     der Innenstadt zu pilgern, um dort ein neues Leinwandabenteuer in Augenschein zu nehmen, das den weiten Weg aus den Studios
     der Welt in ihre Stadt gefunden hatte. Es waren die Meisterwerke aus jenen Tagen, von »Krieg der Sterne« bis zu »Die durch
     die Hölle gehen«, die sie dort zu sehen bekamen und die dafür sorgten, dass der Zauber des Kinos sie bald fest im Griff hatte.
     Warum? Weil nichts von dem, was sie aus eigener Erfahrung kannten, mit den Gefühlen mithalten konnte, die sie packten, wenn
     die Heroen Hollywoods über die Leinwand tobten.
    Stundenlang unterhielten sie sich nach einem Filmüber jedes Detail. Sie begannen mit der Schießtechnik des Helden, kamen auf die Gefahrensituation, die der Film heraufbeschworen
     hatte, streiften kurz die Frage, ob die Liebesgeschichte nachvollziehbar sei, und erörterten schließlich ausgiebig die Entscheidungen,
     mit denen sich der Held am Ende seinem Schicksal stellte. Ursprünglich hatten sie sich am liebsten die Klamotten von Bud Spencer
     und Terence Hill angesehen – mit dem Verstreichen der Jahre aber gewann ihr Geschmack an Profil. So schwärmte Florian später
     vor allem für Sergio Leones »Es war einmal in Amerika«, während David nicht genug von Ridley Scotts Science-Fiction-Schocker
     »Alien« bekommen konnte – obwohl es Monate dauerte, bevor er wieder ins Bett gehen konnte, ohne zuvor nachsehen zu müssen,
     ob sich darunter nicht doch das Monster aufhielt, das dem einen Kosmonauten direkt aus der Bauchhöhle geplatzt war.
    Sicher, mancher Film war ein kläglicher Versager gewesen und hatte sie, statt sie in die unendlichen Weiten des Vorstellbaren
     zu entführen, in die helle Welt des Alltags mit dem schalen Gefühl entlassen, einem Stümper dabei zugesehen zu haben, wie
     er die sakrosankten Instrumente der Magie entweihte. Wenn der Zauber aber funktionierte, dann nahm die Filmerzählung sie auf
     ihre Schwingen und mit hinauf
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