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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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der unmittelbar mit dem Auftrag zusammenhing, den er gerade angenommen hatte.

4
    Es war bereits dunkel, als Florians Maschine in Berlin-Tegel landete. Das Flugzeug war halb leer gewesen, so dass es nicht
     lange dauerte, bis er seinen Alukoffer vom Gepäckband nehmen und Richtung Ausgang streben konnte. In der Haupthalle glaubte
     er für einen Moment zu bemerken, dass eine junge Frau ihn beobachtete. Da er jedoch nicht erwartete, abgeholt zu werden, achtete
     er nicht weiter darauf und trat ins Freie. Es pfiff ein eisiger Wind. Er schauderte. Solche Temperaturen kannte man in Spanien
     nur aus dem Kühlhaus.
    Wenig später saß er in einem Taxi und rauschte über die Stadtautobahn Richtung Zentrum. Hölzemanns Sekretärin hatte ihm ein
     Zimmer im Savoy in der Fasanenstraße reserviert. Das war zwar nicht das Kempinski, aber Florian mochte das Hotel. Es lag in
     Charlottenburg, dem Bezirk, der ihm von allen immer der liebste gewesen war.
    Alles ging glatt. Im Savoy wurde er erwartet, und man hatte ein schönes Zimmer für ihn vorbereitet. Der Boy wuchtete den Koffer
     auf die Ablage, grinste, als Flo ihm ein Trinkgeld in die Hand drückte, und ließ ihn mit einem freundlichen »Schönen Abend
     noch« allein.
    Florian atmete aus. Erst jetzt spürte er, wie anstrengend die Reise gewesen war. Er trat an das Fenster und öffnetees. Direkt gegenüber befand sich das Delphi-Kino, in dem er schon als Student die neuen Woody-Allen-Filme gesehen hatte.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. Um elf hatte er sich mit Walter verabredet, Walter Kunert. David und Flo hatten Walter vor
     etlichen Jahren gemeinsam an der Universität kennengelernt. Flo hatte ihn noch von Madrid aus angerufen und zu einem späten
     Abendessen eingeladen. Walter war zwar erstaunt gewesen, so plötzlich von Flo zu hören – sie hatten sich bestimmt seit fünfzehn
     Jahren nicht mehr gesehen   –, aber er hatte die Einladung gern angenommen.
    Jetzt war es kurz vor acht. Vor seiner Verabredung mit Walter blieb ihm also noch genug Zeit, um die Vorführung von »Audience«
     aufzusuchen, bei der er sich über Hölzemanns Kollegen angemeldet hatte. Der Film sollte um neun beginnen, in einem Fabrikkeller
     in Oberschöneweide, wie der Mail zu entnehmen gewesen war, die er weitergeleitet bekommen hatte.
    Er schloss das Fenster und machte sich auf den Weg.
    ***
    In der Ferne hörte er das Brausen der Stadt. Über ihm wölbte sich der Nachthimmel des winterlichen Berlin. Die Kälte umklammerte
     sein Gesicht, seine Beine zitterten. Er musste sich setzen! Im selben Augenblick zog sich sein Magen zusammen. Er keuchte,
     beugte sich nach vorn, bekam die Mauer des verlassenen Fabrikgebäudes zu fassen, aus dem er gerade herausgetreten war, und
     erbrach das Mittagessen, das er im Flugzeug serviert bekommen hatte,auf das Pflaster des Gewerbehofs. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war es vorbei. Er spuckte mehrfach kräftig aus, richtete
     sich wieder auf und wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Mund ab.
    Der unerwartete Anruf Hölzemanns, die überstürzte Abreise aus Madrid, die entsetzlichen Bilder von dem Jungen auf der Pritsche
     und nicht zuletzt der Schock, als sein Name genannt und sein Bild gezeigt worden war, obwohl er mit dem Grauen auf der Leinwand
     nun wirklich nichts zu tun gehabt hatte – all das war entschieden zu viel auf einmal gewesen.
    Florians Blick schweifte über den Gewerbehof. Ihm gegenüber befand sich der Eingang, durch den man hinaus auf die Straße gelangte.
     Zu seiner Rechten erstreckten sich verlassene Lagerhallen und verwahrloste Schuppen, zu seiner Linken wurde der Hof durch
     eine zum Teil eingestürzte Brandmauer begrenzt. Mit noch unsicheren Schritten begann er, an dem Fabrikgebäude vorbeizugehen,
     in dessen Keller bis vor wenigen Minuten die »Audience«-Vorführung gelaufen war. Ein schwarzes Schimmern hatte durch eine
     Öffnung der Brandmauer hindurch seine Aufmerksamkeit erregt. Als er an dem Fabrikgebäude vorbei war, sah er es. Direkt dahinter
     wälzte sich die Spree durch die Nacht. Er ging um das Gebäude herum, entdeckte eine Laderampe, die die Fabrik mit dem Flussufer
     verband, ließ sich darauf nieder und starrte erschöpft in den schweigend dahinfließenden Strom.
     
    Nur Sekunden, nachdem im Keller das Licht angegangen war, war die Tür entriegelt worden. Die Moderatorin undder Mann im weißen Kittel, die im Film zu sehen gewesen waren, waren hereingekommen, um die verstörten Zuschauer zu
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