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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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beruhigen.
     Aufgebracht hatten die Menschen sie zur Rede gestellt. Was für Aufnahmen waren das gewesen? Eine Übertragung? Eine Aufzeichnung?
     Ein Spielfilm? Was?!
    Die Moderatorin hatte sie aufgeklärt: Selbstverständlich seien die Aufnahmen nur Special Effects gewesen, und dem jungen Schauspieler,
     der die Rolle des Opfers übernommen hatte, sei kein Haar gekrümmt worden. Auch dass ein bestimmter Zuschauer verantwortlich
     gemacht worden sei, habe natürlich zur Vorführung gehört. Bei jedem Screening treffe es einen anderen Teilnehmer aus dem Publikum.
     Aufgrund der persönlichen Anmeldung und Einlasskontrolle verfüge der Veranstalter ja über Foto und Namen jedes einzelnen Zuschauers.
     Wer sich auf »Audience« einlasse, erwarte schließlich eine ganz besondere Erfahrung. Sie hoffe, die Zuschauer nicht enttäuscht
     zu haben.
    Während alle anderen auf die Frau eingeredet hatten, hatte Florian sich zurückgehalten. Der Schock war tiefer gedrungen, als
     er sich das hatte anmerken lassen wollen, und er hatte nur noch einen Wunsch gehabt. Weg von diesen Leuten! So war er der
     Erste gewesen, der den Keller verlassen hatte.
     
    Florian starrte in den Fluss. Das also hatte David aus ihren früheren endlosen Gesprächen über Filme gemacht? Florian musste
     zugeben, dass die Bilder eine beträchtliche Wirkung auf ihn gehabt hatten – aber um welchen Preis? Gab es etwas, das solche
     Bilder hätte rechtfertigen können?Was wollte David denn mit dem Schock erreichen, den der Film bei jedem Zuschauer auslösen musste? Ging es ihm nur darum, die
     Leute aus dem sicheren Dunkel des Kinosaals heraus ins Licht zu zerren? Und zwar genau dann, wenn es ihnen am Unangenehmsten
     sein musste? Ging es ihm darum, die Scham des ertappten Zuschauers auf die Spitze zu treiben? Aber wieso?
    Flos Blick fiel auf einen Wasserhahn, der neben der Rampe an einem Rohr angebracht war. Er stand auf und drehte daran. Klares,
     eiskaltes Wasser schoss auf das Pflaster. Er stellte sich breitbeinig davor, schöpfte das Wasser mit den Händen, wusch sich
     das Gesicht und spülte den Mund aus. Dann trank er in langen Zügen.
    Erfrischt drehte er den Hahn wieder zu. Die Moderatorin, der Mann im Kittel, der Türsteher – mussten sie nicht, direkt oder
     indirekt, mit David in Verbindung stehen, wenn er wirklich derjenige war, der sich hinter dieser Veranstaltung verbarg? Er
     musste sie zur Rede stellen!
    Mit schnellen Schritten ging er um das Fabrikgebäude herum wieder zurück zum Eingang, durch den er es verlassen hatte. Wie
     lange hatte er auf der Laderampe gesessen? Zehn Minuten? Fünfzehn? Er betrat das Gebäude, eilte durch die Eingangshalle zum
     Treppenhaus und begann, die zum Teil gesprungenen Betonstufen hinabzusteigen. Außer seinen Schritten war nichts zu hören.
     Von einem unguten Gefühl getrieben, hetzte er in den Gang, in den die Treppe mündete und von dem die Eisentür in den Vorführraum
     abgegangen war. Fahl fiel das Licht der Laterne, die auf dem Gewerbehof stand, durch die kleinen, vergitterten Fenster des
     dämmrigen Korridors. Schon konnteer die Eisentür an seinem Ende erkennen. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und riss sie auf.
    Schwarz und verlassen gähnte ihn der Kellerraum dahinter an.
    »Scheiße!«, entfuhr es ihm, und seine Stimme brach sich dumpf in dem niedrigen Gewölbe.
    Hatte er sich in der Tür geirrt? Aufgeregt schlug er sie wieder zu und suchte mit den Augen den halbdunklen Gang nach einer
     weiteren Tür ab. Aber es gab keine. Wieder griff er nach der Klinke und drückte sie hinunter. Kein Zweifel. Dies war die Tür,
     durch die er vorhin in den Vorführraum getreten war. Genau hier hatten sie das Bild von ihm gemacht, das sie am Ende des Films
     gezeigt hatten!
    Er zog die Tür wieder auf und tastete sich in den Raum dahinter. Unter seinen Fingern löste sich feuchter Putz von der Wand
     und rieselte zu Boden. Er meinte noch den Schweißgeruch wahrnehmen zu können, den die Zuschauer hinterlassen hatten. Sehen
     aber konnte er nichts – der Schein der Laterne auf dem Hof reichte nicht weit genug.
    Dann fühlte er es. Ein Lichtschalter. Er betätigte ihn. Heiß flammten die Neonröhren an der Decke des niedrigen Gewölbes auf.
     Flo fuhr herum. Die trostlose Kammer lag kahl und fensterlos vor ihm. Abgeplatzter Putz an der Wand, Schutt in der Ecke und
     ein unbehandelter Betonfußboden. Sonst nichts. Kein Beamer, keine Leinwand, keine Lautsprecher. Nichts deutete darauf hin,
     dass hier
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