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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
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1.   Kellermaden auf Samt
    Es ist ein ganz normaler Mittwochmorgen. Ich stehe an einen kalten grauen Stahlcontainer gelehnt und schaue auf das riesige Lehmfeld vor mir. Feiner Nieselregen füllt beständig die kleinen Pfützen, die mir vorkommen wie Karibikstrände. Das liegt wohl an der fröhlichen kubanischen Band, die gerade hinter mir im Container einen Salsa spielt. Ich sollte hinzufügen: original kubanisch, also nicht nachgemacht aus Rumänien oder dem Baltikum, wie so oft. Ich arbeite bei der Agentur Beucker Surprise als Eventmanager, bin also so etwas wie Bühnenbildner, Bauleiter und Oberkellner in einer Person. Meine Leute und ich haben die ganze Nacht durchgeschuftet, um den grauen Bürocontainer am Rand der Stadt in einen Palast aus 1001   Nacht zu verwandeln. Es ist etwa neun Uhr, und ich habe meine erste ruhige Minute.
    Es war das übliche Standardarrangement zum Pauschalpreis: Wir haben die Wände herausgenommen, Schreibtische und Computer verschwinden lassen, den ganzen Raum mit schweren Samtdecken in Purpur ausgelegt, Scheinwerfer und dezente Leuchten installiert, eine kleine Bühne und eine Bar aufgebaut. Als die ersten Angestellten heute Morgen zur Arbeit kamen, legte sich ein herrlich verwirrter Ausdruckauf ihre Gesichter: Wo gestern ihre Büros waren, stehen nun Himmelbetten und Baldachine voller Kissen und Decken, die zum Herumlungern einladen. Es gibt Hummer, Kaviar und Champagner, in einer Ecke spielt die kubanische Live-Band.
    Einige fürchteten im ersten Moment, sie seien ihren Job los und der Container bereits anderweitig vermietet. Aber nein, liebe Leute, alles ist prächtig! Die Chefetage der Baufirma findet, dass es einen großen Sieg zu feiern gibt, und will euch mit einer Überraschungsparty belohnen: Ihr Makler habt vor kurzem das letzte der hundertzwei Reihenhäuser auf dem Feld hinter dem Bürocontainer verkauft, jetzt werden Provisionen ausgeschüttet, dass es nur so knallt. Neues Auto gefällig? Großbildfernseher? Anzahlung für die Eigentumswohnung? Herzlichen Glückwunsch, alles ist möglich!
    Langsam wird mein Smokingjackett nass, also spanne ich meinen kleinen Regenschirm auf. Meine schwarzen Lackschuhe versinken leicht im Matsch, jetzt merke ich doch die durchgearbeitete Nacht. Die Party ist bereits ein Selbstgänger, da muss ich nichts mehr tun. Der Abteilungsleiter tanzt im Hawaiihemd mit der spröden Dame aus der Buchhaltung, während andere sich zum Frühstück einen Cocktail mixen lassen. Wie aus dem Nichts steht eine Frau neben mir, die in ihrer ausgewaschenen schwarzen Jeans und der weißen, ungebügelten Bluse so gar nicht zu den schnieken Menschen im teuren Anzug und makellosen Kostüm passen mag. Vielleicht kommt sie auch aus der Nachbarschaft, wer weiß? Sie wirkt etwas jünger als ich, höchstens dreißig, hat einen Seitenscheitel und hält ihr glattes rötliches Haar mit einer silbernen Spange vom Gesicht fern. Ihre linke Augenbraue wird von einer kleinen Narbe unterbrochen, die aussieht wie ein Komma. Was sie da wohl gestreift hat?
    «Darf ich mit unter den Schirm?»
    Eine samtweiche sonore Stimme.
    «Klar.»
    Als sie sich dicht neben mich stellt, spüre ich eine angenehme Körperwärme, dezentes Amber-Parfüm erreicht meine Nase. Für diesen Duft gebe ich ihr jeden Kredit.
    «Entschuldige, du hast da etwas Konfetti im Haar   …»
    Sie zeigt es bei sich am Kopf, ich suche es, wie üblich, auf der falschen Seite.
    «Darf ich?», fragt sie.
    Ich beuge ihr meinen Kopf entgegen, sie zieht sanft und behutsam Reste einer Papierschlange aus meinem braunen Haar. Ihre Fingerkuppen berühren kurz meine Kopfhaut.
    «Ganz schön dichte Wolle.»
    «Ein Erbstück meiner Mutter.»
    Es ist kaum zu glauben: Da rennt man dreimal die Woche ins Fitnessstudio, um eine Frau kennenzulernen, und das Einzige, was dabei herauskommt, ist eine gute Kondition. Und ausgerechnet hier, fernab von jeder angesagten Szenebar, am Rand eines Vororts von Hamburg, passiert es von selbst, morgens um neun. Erst denke ich, sie will nur kurz eine rauchen, aber auch nach der Zigarette bleibt sie einfach so neben mir stehen, schaut mit mir auf das lehmbraune Feld und summt leise die Melodie des kubanischen Jazztrios mit. Ich stimme mit ein. Drinnen grölen ein paar Männerstimmen der leichten, fröhlichen Musik entgegen: «Einer geht noch, einer hat noch Platz   …» Prompt erfassen mich ihre neugierigen, hellgrünen Katzenaugen. Als seien wir gerade nebeneinander aufgewacht, so nah fühlt sie sich
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