Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
Vom Netzwerk:
dann den ganzen Weg wieder zurückfahren? An einem Tag wie heute? – Niemals!
    «Lass mal, für Oma passt das auch einen Tag später», wehre ich ab.
    «Was ist los, Sönke?»
    «Wieso? Was soll sein?»
    Neben den üblichen sieben Sinnen besitzt meine Mutter auch noch ein eingebautes Röntgengerät, einen Kernspin und einen Stimmenanalysator, und all das funktioniert auch per Telefon. Mit anderen Worten: Man kann ihr nichts vormachen.
    «Ich habe gefragt, was los ist, Junge.»
    Und sie lässt nie locker.
    «Ich habe heute meinen Job geschmissen.»
    Das ist zwar leicht geschönt, aber im Ergebnis dasselbe. Wahrscheinlich kündigt sie gleich an, dass sie vorbeikommt, um mit mir über eine Umschulung zu sprechen, die mich für die Kommunalverwaltung in Norderstedt qualifiziert. Dort arbeitet nämlich mein Vater. Oder sie wird mir vorschlagen, Optiker zu werden, wie sie. Für beide Berufe bin ich komplett ungeeignet, was sie beständig ignoriert.
    Doch sie überrascht mich: «Dann brauchst du erst einmal Abstand.»
    Meine Mutter hat plötzlich so etwas wie Stressmanagement drauf? Sonst höre ich in solchen Situationen doch immer: «Stell dich nicht so an, wir hatten es viel schwieriger damals.»
    «Ja, dringend», bestätige ich leicht verwirrt.
    «Ich habe eine Idee. Du fährst zu Oma, und ich bleibe hier.»
    Ah, daher weht der Wind.
    Sie will sich drücken.
    Mama hat nicht gerade das beste Verhältnis zu ihrer Mutter, aus welchen Gründen auch immer. Aber wenn ich’s mir genau überlege, ist ihr Vorschlag gar nicht so schlecht, denn meine Oma wohnt auf einer Insel mitten im Meer.
    «Okay.»
    Jetzt wirkt sie etwas überrascht, das höre ich durchs Telefon. Vermutlich hatte sie sich auf eine längere Diskussion eingestellt. Pragmatisch, wie sie ist, geht sie sofort zu den organisatorischen Dingen über. «Die Feier findet morgen früh um acht Uhr am Südstrand statt, da wo wir immer feiern, am Leuchtturm.»
    «So früh?»
    «Du kennst doch meine Mutter. Wohnen kannst du ja in Oma ihr klein Häuschen. Darüber soll morgen sowieso gesprochen werden.»
    «Wieso?» Gibt es ein Problem mit Omas Haus?
    «Genau genommen hat mein Vater es uns allen vermacht, und jetzt muss endlich entschieden werden, was damit geschieht.» Omas Mann, mein Großvater, ist vor fünf Jahren gestorben. Warum kommt das Haus erst jetzt zur Sprache?
    «Wem ‹uns›?», forsche ich nach.
    «Cord, Arne, Regina, Oma und mir.» Cord, Arne und Regina sind ihre Geschwister. «Du vertrittst mich ganz offiziell und stimmst einfach mit Oma, dann wird es keine Probleme geben. Den Schlüssel schicke ich dir mit dem Taxi in deine Wohnung, ich muss gleich zur Arbeit.»
    Fünfzehn Kilometer mit dem Taxi? So großzügig zeigt sich meine sparsame Mutter selten. Ein Zeichen dafür, wie erleichtert sie ist, nicht auf Omas Geburtstag zu müssen. Meine Mutter hat in einer öffentlichen Podiumsdiskussion mal gefordert, den Küstenschutz aus Steuermitteln einzustellen und die Nordfriesischen Inseln den Naturgewalten zu überlassen, so sehr nervt sie ihre Sippe.
    «In Ordnung.»
    «Hast du noch Geld für Zug und Fähre?»
    «Mama! Was denkst du denn?»
    «Und wenn du wieder da bist, reden wir über deine berufliche Zukunft. Da finden wir was.»
    Genau dieses Wir fürchte ich am meisten. Ich sehe schon ihr beleidigtes Gesicht, wenn ich ihre gutgemeinten Vorschläge sanft, aber bestimmt ablehnen muss.
    Bloß weg!

3.   Oma ihr klein Häuschen
    Die Sonne ist gerade untergegangen, als ich in Dagebüll mit meinem schwarzen Hartschalenkoffer auf die letzte Fähre sprinte. Die Fahnen der Wyker Dampfschiff-Reederei knattern im Wind wie startende Hubschrauber, die Luft ist salzig und riecht nach schwerer, aufgewühlter See, auf den Wellenspitzen hüpfen weiße Schaumkronen. Den Smoking und das weiße Hemd trage ich immer noch, ich mochte mich noch nicht umziehen. Meine Abendkleidung wirkt natürlich reichlich dicke auf einer Urlauberfähre, aber das ist mir egal. Als die weiße
MS Nordfriesland
ablegt, leuchten die Lichter der Föhrer Hauptstadt auf der gegenüberliegenden Seite wie eine Verheißung. Dort ist ein anderer Kontinent.
    Ich gehe aufs Achterdeck, obwohl es empfindlich kühl wird, und lasse das Festland hinter mir wie eine ferne Insel. Das erste Mal an diesem verkorksten Tag atme ich auf. In mir breitet sich plötzlich eine Mischung aus gespannter Erwartung und Optimismus aus. Wo auch immer dieses Gefühl herkommt, es tut gut.
    Wir passieren eine Sandbank, auf der sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher