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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
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Weißwäsche bei 90   Grad, danach wienere ich den Ganzkörperspiegel im Bad, bis er glänzt wie neu. Ich betrachte mich, suche mein Gesicht nach Spuren ab, als könnte meine Verzweiflung als große Narbe an der Stirn erscheinen. Aber es ist alles so wie immer: ein Meter fünfundachtzig, langes braunes Deckhaar, an den Schläfen abgestuft, dunkelgrüne Augen, eine markante, lange Nase, gepflegte Zähne. Den Smoking trage ich immer noch, nur die Fliege habe ich bereits abgelegt.
    Und jetzt?
    Besaufen? Fernsehgucken? Hoffen, dass ich mit meiner Geschichte in irgendeiner Vormittags-Talkshow lande? Zu allem Überfluss kommt jetzt auch noch die Sonne raus. Bald werden im Straßencafé unten im Haus lauter fröhliche Menschen hocken, ihre Stimmen bis in meine Wohnung dringen. Besser, ich mache die Fenster zu.
    Dabei ist doch in meinem bisherigen Leben immer allesgut gelaufen: Schon mit Mitte zwanzig hatte ich das wunderbare Gefühl, am Ort meiner Bestimmung angelangt zu sein. Nach Schule und Zivildienst habe ich lustlos ein paar Semester BWL studiert und nebenbei viel gejobbt, vor allem in der Gastronomie. Mit dem Geld bin ich nach Südafrika gereist, dann nach Bolivien, Peru, Chile, Indien und Vietnam. Als sich alle anderen noch in der Ausbildung befanden, schmiss ich mein Studium und begann bei Beucker Surprise. Es war der perfekte Job für mich, weil ich einfach gern mit Menschen zu tun habe. Ich unterhalte mich genauso gerne mit dem Hausmeister wie mit dem Parteivorsitzenden.
    Der Wagen mit dem Essen steckt im Stau?
    Der berühmte Künstler hat von heute auf morgen abgesagt?
    Je schlimmer es kommt, desto mehr laufe ich zu Höchstform auf. Erst Chaos bringt mich auf optimale Betriebstemperatur.
    Ich war am richtigen Ort, zehn Jahre lang – bis heute. Roland Beucker muss mich noch nicht einmal offiziell feuern, weil ich freiberuflich für ihn gearbeitet habe. Aus diesem Grund werde ich auch keine Arbeitslosenunterstützung bekommen. Das Geld auf meinem Konto wird höchstens vier oder fünf Monate reichen, ab da wird es rapide bergab gehen. Die Sozialbehörden werden verlangen, dass ich mir irgendein Loch in einem miesen Stadtteil nehme, am besten im schattigen, dunklen Souterrain. Was habe ich dem schon entgegenzusetzen? Ein abgebrochenes Studium, zehnjährige Berufserfahrung als «Eventmanager» – eine Phantasiebezeichnung, die großspurig klingen soll, aber eigentlich nichts aussagt.
    Ich muss mir nichts vormachen, meine Lebensbilanz ist erbärmlich: Seit einem Jahr bin ich Single, und beruflich steheich mit fünfunddreißig schlechter da als die meisten Schulabgänger. Wenn ich wenigstens eine Krankheit oder ein traumatisches Erlebnis als Rechtfertigung anführen könnte, eine schlimme Kindheit vielleicht – aber das fällt leider alles aus.
    Es ist schlicht und einfach eigene Dusseligkeit.
    Die ist zwar menschlich, macht mich aber extrem unattraktiv und lässt, nebenbei gesagt, meine Chancen bei Frauen weit unter null sinken.
    Das Telefon klingelt.
    Roland Beucker?
    Hat er es sich anders überlegt?
    Wenn ja, würde ich sofort runter ins Café gehen und mir einen antrinken. Wahrscheinlich fand er es doch zu hart, mich nach all den Jahren fristlos rauszuwerfen. Mann, wenn das wahr wäre, hätte er mir einen mörderischen Schreck eingejagt, aber das würde ich ihm sofort verzeihen.
    Das Display zeigt, es ist nicht Beucker.
    Es ist meine Mutter.
    Geeske Naumann, nicht jetzt, bitte!
    Nichts gegen meine Mutter, wir haben ein gutes Verhältnis – wenngleich ich mit meinem Vater schon immer etwas besser konnte   –, aber sie hat leider die Tendenz, sich ungeniert in mein Leben einzumischen, wogegen ich im Laufe der Jahre hohe Deiche gebaut habe. An einigen Stellen zusätzlich mit Stacheldraht, zur eigenen Sicherheit.
    «Moin, Mama.»
    «Wie geht’s?»
    «Ist noch früh, der Tag kann noch einiges bringen», säusele ich mit fröhlicher Stimme. Wenn ich eines kann, ist es, mich zusammenreißen.
    «Ich wollte dich nur an Omas Sechsundsiebzigsten erinnern.»
    «Habe ich nicht vergessen, das Geschenk bringe ich nachher zur Post.»
    «Das ist doch nie bis morgen da, Sönke!» Wenn sie meinen Namen so vorwurfsvoll betont, ist höchste Gefahr im Verzug.
    «Egal, an ihrem Geburtstag hat sie sowieso genug um die Ohren.»
    «Bring es mir vorbei, ich kann es im Wagen mitnehmen, wenn ich nachher zu ihr fahre.»
    Ich soll vierzehn U-Bahn -Stationen plus Bus bis nach Norderstedt fahren, nur um das Paket bei Mama abzugeben, und
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