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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Einleitung von Hugo von Hofmannsthal
    Man kennt diesen großen Autor nicht, wenn man von ihm nur dies oder jenes kennt. Es gibt nicht den einzelnen Band, der die Essenz seines dichterischen Daseins enthielte, wie »Faust« oder die »Gedichte« die Essenz von Goethes Dasein in sich fassen. Balzac will im breiten gelesen sein, und es bedarf keiner Kunst, ihn zu lesen. Es ist die selbstverständlichste Lektüre für Weltleute, das Wort in seinem weitesten Sinn genommen, vom Advokatenschreiber oder Kaufmannslehrling bis hinauf zum großen Herrn. Eher bedürfte es für Weltleute (ich rede von Männern aller Stände, von Politikern, Soldaten, von Geschäftsreisenden, von vornehmen und einfachen Frauen, von Geistlichen, von allen Menschen, die keine Literaten und keine Schöngeister sind, und von allen denen, die nicht aus Bildungsbedürfnis, sondern zur Belustigung ihrer Einbildungskraft lesen) von Fall zu Fall einer kleinen Anspannung, eines gewissen Übergangs, um Goethe zu lesen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß sich ihnen Goethe in den beschwerten und den verworrenen Momenten ihrer Existenz versagt; Balzac wird sich immer mit ihnen einlassen. Nicht im literarischen Sinn meine ich dies: denn bei Goethe wird der erste Vers, den sie aufschlagen, immer etwas Wundervolles sein, ein Geisterklang, ein Zauberspruch, und bei Balzac werden sie leicht auf drei oder vier langweilige, ermüdende Seiten stoßen, nicht bloß im Anfang einer Geschichte, sondern möglicherweise wo immer sie aufschlagen. Aber schon indem sie diese gleichgültigen und eher mühsamen Seiten mechanisch durchfliegen, wird etwas auf sie zu wirken beginnen, dem sich der wirkliche Leser, der lebendige menschliche Leser, niemals entzieht: eine große, namenlos substantielle Phantasie, die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit Shakespeare da war. Wo immer sie aufschlagen, bei einer Abschweifung über Wechselrecht und die Praktiken der Wucherer, bei einem Exkurs über legitimistische oder liberale Gesellschaft, bei der Schilderung eines Kücheninterieurs, einer ehelichen Szene, eines Gesichtes oder einer Spelunke werden sie Welt fühlen, Substanz, die gleiche Substanz, aus der das Um und Auf ihres Lebens gebildet ist. Sie werden unmittelbar aus ihrem Leben in diese Bücher hinüberkönnen, ganz unvermittelt, aus ihren Sorgen und Widerwärtigkeiten heraus, ihren Lieblingsgeschichten und Geldaffären, ihren trivialen Angelegenheiten und Ambitionen. Ich bin dem Finanzier begegnet, der übergangslos nach seinen Sitzungen und Konferenzen zu seinem Balzac griff, im welchem er die letzten Notierungen der Börse als Lesezeichen liegen hatte, und der Weltdame, die in »Les illusions perdues« oder »La vieille fille« die einzig mögliche Lektüre fand, um sich selbst zurückzufinden, abends, nachdem man unter Menschen war oder Menschen bei sich gesehen hat, die einzige Lektüre, die stark und rein genug ist, um die Phantasie von dem jähen und so zerrüttenden Fieber der Eitelkeit zu heilen und alles Gesellschaftliche auf sein Menschliches zu reduzieren. Diese Funktion, mitten in das Leben des Menschen hineinzugreifen, das Gleiche mit dem Gleichen zu heilen, die Wirklichkeit mit einer erhöhten dämonischen Wirklichkeit zu besiegen – ich frage mich, welcher unter den großen Autoren, mit denen unser geistiges Leben rechnet, hierin mit Balzac rivalisieren könnte – es wäre denn Shakespeare. Aber Shakespeare so zu lesen, wie andere Generationen die Alten gelesen haben, ich meine, ihn so zu lesen, daß man das Ganze des Lebens aus ihm herausliest, ihn vom Standpunkt des Lebens zu lesen und die wahrsten Bedürfnisse seiner Wißbegierde an ihm zu befriedigen, ist nicht jedermanns Sache. Es ist nicht jedermanns Sache, seine Einbildungskraft so anzuspannen, daß sie die Distanz von drei Jahrhunderten überfliegt, alle Verhüllungen einer prachtvollen, aber wildfremden Epoche durchdringt und dahinter nur das ewig wahre Auf und Ab des menschlichen Tuns und Leidens wahrnimmt. Es ist nicht jedermanns Sache, ohne die Hilfe des Schauspielers, ohne eine ganz bestimmte Begabung der nachschaffenden Einbildungskraft, die genialste Verkürzung und Zusammendrängung, die jemals realisiert wurde, wieder in eine solche Breite des Weltbildes auszulösen, daß er in ihr sich selber und die vielfach verschlungenen Fäden des Daseins wiederfindet, deren Durchkreuzung seine Wirklichkeit bedeutet.
    Goethe ist in gewissem Sinne leichter zu lesen, und wer liest ihn
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