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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ist, strotzt von Wahrheit. Ich weiß nicht, ob man es schon unternommen hat (aber man könnte es jeden Tag unternehmen), ein Lexikon zusammenzustellen, dessen ganzer Inhalt aus Balzac geschöpft wäre. Es würde fast alle materiellen und alle geistigen Realitäten unseres Daseins enthalten. Es würden darin Küchenrezepte ebensowenig fehlen als chemische Theorien; die Details über das Geld- und Warengeschäft, die präzisesten, brauchbarsten Details würden Spalten füllen; man würde über Handel und Verkehr vieles erfahren, was veraltet, und mehreres, was ewig wahr und höchst sachgemäß ist, und daneben wären unter beliebige Schlagworte die kühnsten Ahnungen und Antizipationen von naturwissenschaftlichen Feststellungen späterer Jahrzehnte aufzunehmen; die Artikel, die unter dem Schlagwort »Ehe« oder »Gesellschaft« oder »Politik« zusammenzufassen wären, wären jeder ein Buch für sich und jeder ein Buch, das unter den Publikationen der Weltweisheit des neunzehnten Jahrhunderts seinesgleichen nicht hätte. Das Buch, welches den Artikel »Liebe« enthielte und in einem kühn gespannten Bogen von den unheimlichsten, undurchsichtigsten Mysterien (Une passion dans le désert) durch ein strotzendes Chaos aller Menschlichkeiten zur seelenhaftesten Engelsliebe sich hinüberschwänge, würde das eine berühmte Buch gleichen Namens, das wir besitzen und das von der Hand eines Meisters ist, durch die Größe seiner Konzeption, durch den Umfang seiner Skala in den Schatten stellen. Aber schließlich existiert dieses Lexikon. Es ist in eine Welt von Gestalten, in ein Labyrinth von Begebenheiten versponnen, und man blättert darin, indem man dem Faden einer prachtvoll erfundenen Erzählung folgt. Der Weltmann wird in diesen Bänden die ganze Reihe der so scheinhaften und doch so wirklichen Situationen umgewandelt sehen, aus denen das Soziale besteht. Die tausend Nuancen, wie Männer und Frauen einen anderen gut und schlecht behandeln können; die unmerklichen Übergänge; die unerbittlichen Abstufungen, die ganze Skala des wahrhaft Vornehmen, zum Halbvornehmen, zum Gemeinen: dies alles abgewandelt und in der wundervollsten Weise vom Menschlichen, vom Leidenschaftlichen durchbrochen und für Augenblicke auf sein Nichts reduziert. Der Mensch des Erwerbs (und wer hat nicht zu erwerben oder zu erhalten oder zu entbehren?) hat seine ganze Welt da: alles in allem. Den großen Börsenmann, den verdienenden Arzt, den hungernden und den triumphierenden Erfinder, den großen und kleinen Faiseur, den emporkommenden Geschäftsmann, den Heereslieferanten, den Geschäfte vermittelnden Notar, den Wucherer, den Strohmann, den Pfandleiher, und von jedem nicht einen, sondern fünf, zehn Typen, und was für welche! und mit allen ihren Handwerksgriffen, ihren Geheimnissen ihrer letzten Wahrheit. Die Maler halten unter sich die Legende aufrecht, daß von Delacroix herrühren müsse, was im »Chef d'œuvre inconnu« an letzten Intimitäten über die Modellierung durch das Licht und den Schatten gesagt ist; diese Wahrheiten sind ihnen zu substantiell, als daß jemand sie gefunden haben dürfte, der nicht Maler, und ein großer Maler gewesen wäre. Der Denker, dem man »Louis Lambert« in die Hand gegeben hat, als die Monographie über einen Denker, mag den biographischen Teil schwach finden und an der Realität der Figur zweifeln: aber sobald er zu dem in Briefen und Notizen übermittelten Gedankenmaterial kommt, so wird die Konsistenz dieser Gedanken, die substantielle Kraft dieses Denkers so überzeugend, daß jeder Zweifel an der Figur weggeblasen ist. Dies sind Gedanken eines Wesens, dies Hirn hat funktioniert, – man mag im übrigen die Gedanken, diese Philosophie eines spiritualistischen Träumers ablehnen oder nicht. Und der verheiratete Mann, dem in einer nachdenklichen Stunde die »Physiologie der Ehe« in die Hand fällt, wird in diesem sonderbaren und vielleicht durch einen gewissen halbfrivolen Ton unter den Werken Balzacs ein wenig deklassierten Buch auf einige Seiten stoßen, deren Wahrheiten so zart als tief und beherzigenswert sind, wahrhafte Wahrheiten, Wahrheiten, die sich, wenn man sie in sich aufnimmt, gewissermaßen ausdehnen und mit einer sanften, strahlenden Kraft im Innern fortwirken. Allen diesen Wahrheiten haftet nichts Esoterisches an. Sie sind in einem weltlichen, manchmal in einem fast leichtfertigen Ton vorgetragen. Verflochten unter Begebenheiten und Schilderungen, bilden sie die geistigen Elemente im
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