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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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Witwe gegen ihn entlud, sie mit ihren kleinen Fäusten auf ihn eintrommelte
     und ihm nichts anderes einfiel, als sich fortzustehlen, bevor ihn die Nachbarn aufhalten konnten.
    Dann sah man ihn wieder bei Thea sitzen, aufgenommen mit langer Brennweite vom Garten aus, von dem man gut in das hell erleuchtete
     Wohnzimmer hineinschauen konnte. Man sah ihn in Davids Arbeitszimmer herumschnüffeln, mit Thea Wein trinken, über Davids Ideen
     sprechen, mit Thea in den Garten heraustreten. Man sah die beiden auf das Dach des Pavillons steigen und über den See schauen,
     gedreht vom Wasser aus, von einem Boot aus, in dem man für einen Moment auch David erkennen konnte, der in diesem Boot saß,
     der zu ihnenhinüberblickte und kurz ins Bild kam, als er die Kamera schwenkte. David war also der Schatten gewesen, den er unter den Weiden
     am Ufer gesehen hatte, schoss es Flo durch den Kopf. Und er beobachtete, wie David ihn filmte, als er sich zu Thea hinunterbeugte
     und versuchte, sie zu küssen.
    Im nächsten Bild saßen sie gemeinsam in der Bar des Savoy. David und Florian. Auch hier mussten die Bilder von einer Überwachungskamera
     stammen, die Flo nicht bemerkt hatte. Man sah, wie David versuchte, Flo für eine gemeinsame Arbeit zu gewinnen. Aber Florian
     begegnete ihm zögerlich, er schien nur seinen Termin mit Riemschneider am nächsten Morgen im Kopf zu haben. Er wirkte misstrauisch,
     reserviert, undurchschaubar, während David sich bemühte, ihm klarzumachen, dass er nicht alles glauben dürfe, was die Polizei
     ihm erzählte. Aber man hatte das Gefühl, als spräche er gegen eine Wand.
    Es folgten Bilder, die Florian im Babelsberger Schneideraum zeigten, wie er sich »Tabu« anschaute, unter anderem den Streit,
     den David nachgestellt hatte. Und als man nun zum dritten Mal diesen Streit mitbekam, hatte er endgültig seine Schärfe eingebüßt.
     Jetzt wirkte es nicht mehr, als schütte ein unberechenbarer David seinen Hass über den wehrlosen Flo aus. Jetzt wirkte es,
     als müsste David zum Äußersten gehen, um sich davor zu schützen, dass sein Freund Flo ihn restlos ausnahm.
    Mit großer Geduld versuchte David in dem Gespräch – das sie nach der Vorführung des Films in der Teeküche geführt hatten und
     von dem Flo inzwischen ja wusste, dass es aufgezeichnet worden war – sein Verhalten beidem Streit zu verteidigen. Aber Florian wollte nichts davon wissen. Beleidigt und empört beschwerte er sich, wie David es
     damals wagen konnte, ihn bei der Arbeit an dem Drehbuch nicht als gleichberechtigten Autor anzuerkennen. Flo wollte auch nichts
     davon wissen, dass das eine alte Geschichte sei, dass es David inzwischen um etwas ganz anderes gehe. Im Gegenteil: dass David
     den Streit in seinem Film noch einmal hatte aufleben lassen, verbitterte ihn offenbar nur noch mehr. Und so ließ er ihn mit
     dem Verdikt, dass der Film nicht funktioniere, schließlich stehen.
    Im nächsten Bild sah man Florian über die Oranienburger Straße wanken, aufgenommen von einem vorbeifahrenden Auto aus. Es
     war deutlich zu erkennen, dass er sternhagelvoll war und sich kaum auf den Beinen halten konnte. Dann sah man ihn auf der
     Bank am Spreeufer schlafen, die Kamera diesmal dicht dran an seinem Gesicht, unter dessen Lidern die Pupillen zuckten. Dass
     jemand ihn auf der Bank schlafend gefilmt hatte, hatte er natürlich nicht bemerkt.
    Mit seinem Besuch bei Thea am nächsten Tag ging der Film weiter. Flo wirkte unaufrichtig, berechnend, verlogen. Hatte er nicht
     am Vortag noch David vorgeworfen, überheblich und selbstherrlich zu sein? Und jetzt? Jetzt bat er Thea, David auszurichten,
     dass er ihn treffen, dass er mit ihm arbeiten wolle. Wieso? Wieso ausgerechnet jetzt, wo er doch offensichtlich überhaupt
     nicht klarkam mit dem, was David machte und was er sagte?
    Was Florian mit seinem Besuch bei Thea bezweckt hatte, wurde in der nächsten Szene allerdings schlagartig klar. Man sah ihn,
     wie er sich der Kneipe näherte, die erThea als Treffpunkt mit David genannt hatte. Eine Schrift wurde eingeblendet: »Material der Kripo Berlin   – Dokumentationstrupp«. Die Kamera schwenkte, und es war zu erkennen, dass sich mehrere Polizisten in voller Kampfausrüstung
     unweit der Kneipe positioniert hatten.
     
    Irritiert stoppte Florian den Film. Bei diesem Polizeieinsatz war David ums Leben gekommen. Er konnte den Film »Florian« also
     nicht
selbst
fertiggestellt haben. Wer aber hatte es dann gemacht? Hatte er seinen eigenen
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