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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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Hinter Mauervorsprünge geduckt, arbeiteten
     sie sich zum Hinterhaus vor. Jetzt sah man ihn. David saß hinter den Schornsteinen des benachbarten Hauses. Gerade kam Florian
     über den Seitenflügel auf ihn zu. David erhob sich, Flo blieb stehen. Im selben Moment kam über Headset der Befehl: »Zugriff!«
    Ein Beamter zuckte hinter einem Dachaufbau hervor, warf etwas in Davids Richtung. Ein Blitz flammte auf, ein Donnerschlag
     zerriss die Ruhe. Man sah Flo, wie er sich auf das Dach des Seitenflügels warf, gleichzeitig begann David zu sprinten, weg
     von dort, wo die Rauchbombe hergekommen war.
    Im nächsten Augenblick hatte der weiße Rauch alles vernebelt. Vorsichtig hastete der Kameramann durch die dicken Schwaden
     dem Flüchtenden über das Hinterhausdach nach. Da sah man ihn wieder. David hatte eben das Flachdach erreicht, drehte sich
     um, riss das massive Brett aus der Verankerung und stieß es in die Tiefe. Der Kameramann stabilisierte das Bild, zoomte heran.
     Immer näher, näher heran an Davids Gesicht, das zum ersten Mal richtig zu erkennen war.
    Als Flo es jetzt im Film sah, erschrak er. Denn in dieses Gesicht, das sich einen gewissen Ausdruck der Überheblichkeit immer
     bewahrt hatte, war ein neuer Zug getreten. Das Antlitz der Angst. Nackter Angst. Der Angst des gehetzten Tiers. David war
     in die Ecke getrieben, undes war ihm deutlich anzusehen, dass er das wusste. Dass er wusste, dass es das Ende war, dass er nicht mehr lebendig davonkommen
     würde. Jetzt sah man nicht mehr den wütenden, ironischen oder selbstherrlichen Mann vor sich, sondern die verletzliche, empfindliche
     und verzweifelte Kreatur, die sich an ihr Leben klammerte, weil sie spürte, dass es kurz davor stand, zu verlöschen.
    Dann raste er weiter, die Sprossen empor und über das Dach des Nachbarhauses. Die Bewegung verlangsamte sich, wurde zur Zeitlupe,
     man sah ihn rennen, so schnell er konnte, aber durch die Zeitlupe wirkte es, als steckten seine Füße in Betongewichten. Die
     Zipfel seines Mantels flatterten hinter ihm her, schwerfällig sackten seine Gesichtszüge nach unten, nach oben, übergenau
     von der extremen Zeitlupe registriert.
    Es war Davids Lauf in den Tod. Man hörte das dumpfe Grollen eines in Zeitlupe abgespielten Schussgeräuschs, gleichzeitig sah
     man etwas an seiner Schulter aufspritzen, er schien zu stolpern, zu fallen, aber er fing sich und rannte weiter.
    Erst jetzt sah man, wohin. Auf den Abgrund zu, auf die Lücke zwischen den Häusern. Im Ton war der Truppführer zu hören, der
     seine Männer anwies, Mosbach den Rückzug abzuschneiden, gleichzeitig schienen Davids Schritte immer länger zu werden, immer
     ausgreifender, als hole er noch einmal Schwung, dabei war es nicht zu schaffen – von der Position des Kameramanns aus schien
     man es deutlich sehen zu können, niemand war in der Lage, diese Lücke zwischen den Häusern zu überspringen.
    Da riss er schon sein Bein in die Luft, noch klebte das andere auf dem Häuserdach, dann zog er es nach, zog esan, streckte die Arme nach oben, um seinem Satz den größtmöglichen Schwung zu verleihen, segelte durch die Luft, ruderte mit
     den Beinen in Kreisbewegungen, als würde er die Pedale eines unsichtbaren Fahrrads treten   …
    War es möglich? War es möglich, dass er es doch noch schaffte, dass er das gegenüberliegende Dach erreichte?
    Im selben Augenblick prallte David gegen die senkrechte Wand – ein Knall, dumpf durch die Zeitlupe verzogen   –, man sah, wie er mit den Händen verzweifelt versuchte, an der Mauer Halt zu finden, wie er hinabrutschte, sich noch einmal
     drehte, nicht vermeiden konnte, dass sein Kopf nach unten zeigte, wie die Füße in die Luft stießen, sein Körper sich von der
     Mauer entfernte, wie er stürzte, stürzte, als hätte sich der Boden aufgetan, und er würde im unendlichen Fallen dem Aufprall
     entkommen   …
    Da krachte der Schädel aufs Pflaster, es knackte, spritzte, die Beine brachen über dem schlagartig den inneren Halt verlierenden
     Leib zusammen, er rollte ab – und blieb liegen.
    Der Schädel aufgeplatzt, der Mantel verdreht, die Glieder wie die einer Puppe. Noch einmal zoomte der Kameramann heran an
     diesen Kopf, heran an die Augen, deren Lider weit aufgerissen waren, das Weiß darunter blutschwarz getränkt.
    Dann fror das Bild ein.

44
    Fassungslos starrte Flo auf den Bildschirm in Davids Gesicht. Das Gesicht einer Leiche. Grau. Wächsern. Und stumpf. Ein Gesicht,
     das er gekannt hatte wie
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