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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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langsam an der Tür
herunter auf die Knie.
    Er sah so aus, als ob er sich noch
einmal aufrichten würde. Dann kippte er hintenüber und lag still.
    Ich hörte nur meinen keuchenden Atem.
Das Blut brauste mir in den Ohren, und mein Herz dröhnte gegen die eiserne Wand
des Panzers, der mir das Leben gerettet hatte.
    Meine Uhr ging noch. Es war zwei
Minuten vor sieben. Über zehn Minuten hatte ich um mein Leben gekämpft. Meine
Bude sah aus wie ein zerschossenes Dorf.
    Die Schmerzen, die ich bisher nicht
gespürt hatte, kehrten zurück. Mir war, als wäre ich unter einen Omnibus
gekommen. An allen Druckstellen des Panzers und der Beinschienen brannte meine
Haut wie Feuer. Meine rechte Hand war kraftlos und schlaff, und bei jeder
Bewegung fuhr ein bohrender Blitz durch den Handteller.
    Trotzdem. Besser das Messer hierhin,
als ins Kreuz.
    Mit den Schmerzen kam der alte Thomsen
zurück. Die Wut verrauchte, und eine matte Traurigkeit befiel mich.
    Ruschke.
    Warum hatte er das alles getan?
    Mit steifen Schritten ging ich zum
Fenster. Die Flasche Gin lag im Schnee. Ich faßte danach, und der Schnee kühlte
meine heißen Finger. Ich zog den Korken heraus und trank endlos.
    Als ich die Flasche absetzte, sah ich
Evelyn in der Tür stehen.
    Sie war bleich und preßte die Hand auf
die Lippen. Ihre Augen flogen von der hingestreckten Gestalt zu mir und wieder
zurück.
    »Hans«, stieß sie hervor, »was hast du
gemacht?«
    Ich stellte die Flasche hin und bückte
mich. Das Heft des Skalpells lag auf dem zerwühlten Teppich. Die Klinge fand
ich hinter dem Schreibtisch.
    Ich hielt ihr die Stücke auf der
flachen Hand hin.
    »Da ist es«, sagte ich. »Der Panzer hat
es abgehalten.«
    Sie brachte kein Wort heraus.
    Ich ging zum Schreibtisch und schrieb
die Nummer von Nogees auf einen Zettel.
    »Ruf ihn an«, sagte ich. »Schnell. Wenn
er nicht da ist, die Funkstreife.«
    Sie wandte sich und lief.
    Ich hörte ein leises Stöhnen. Ruschke
bewegte den Kopf, aber seine Augen blieben geschlossen. Ich hob ein Bein des
zertrümmerten Stuhles auf und stellte mich neben Ruschke.
    Endlos schlichen die Minuten dahin.
     
     
     

XXI
     
    Ich lag auf der Couch.
    Evelyn hatte mir den Harnisch
abgeschnallt. Sie saß neben dem Kopfende und sorgte dafür, daß die Gläser nicht
leer blieben. Ab und zu streichelte sie mir über den mageren Haarbestand.
    Sie hatte Nogees erreicht. Als er
erschienen war, kam Ruschke gerade zu sich. Ein paar Polizisten brachten ihn
weg. Sein blutiges Gesicht war teilnahmslos, wie gestorben.
    Jetzt warteten wir auf den Kommissar,
der wiederkommen wollte. Ich schwieg und dachte nach, und Evelyn fragte mich
nichts. Sie hätte aufgeräumt und die Bude leidlich in Ordnung gebracht. Die
Wand mußte ausgebessert werden, und der Stuhl war hin. Mein Morgenrock sah aus
wie eine alte Seeräuberflagge.
    »Ich nähe ihn dir«, sagte Evelyn.
    »Laß nur«, sagte ich. »Ich kaufe mir
einen neuen. Den hier bewahre ich auf für meinen Enkel, damit sie sehen, was
ihr Großvater durchgemacht hat.«
    Nogees kam kurz vor zehn. Er ließ sich
in den Sessel fallen und trank und rauchte.
    »Es war so, wie Sie dachten«, sagte er.
»Beate Weber war seine Nichte. Seine Frau ist tot, und er hatte keine Kinder.
Er hing an dem Kind seiner verwitweten Schwester, als wäre es ein eigenes. Ich
war heute bei der Frau. Deswegen haben Sie mich nachmittags nicht erreicht. Sie
hatte von den Morden gehört, aber sie ahnte den Zusammenhang nicht. Ich erfuhr,
wie sehr er das Kind geliebt hatte. Eines Tages wurde es krank. Es kam in Ihr
Krankenhaus. Sie taten dort alles, was sie tun konnten. Aber Ruschke war es
nicht genug.«
    Nogees blies einen Rauchstrahl zur
Decke.
    »Nach dem, was ich von seiner Schwester
und vorhin von ihm hörte, glaube ich zu wissen, was mit ihm los ist. Sein Leben
lang hat er als Pfleger gearbeitet. Sein Leben lang war er Untergebener von
Ärzten, von guten und weniger guten. Er sah sie bei der Arbeit, sah ihre
Leistungen und ihre Fehler, glaubte zu können, was sie konnten, und war doch
immer zurückgesetzt. Er war überzeugt, daß an ihm ein Arzt verlorengegangen
wäre, er wollte ihresgleichen sein und litt unter der ewigen Unterordnung und
manchmal wohl auch unter ihrer Überheblichkeit. Er begann, sie zu hassen.
    Dann kam seine Nichte in die Klinik. Er
paßte auf sie auf wie ein Luchs. Ich bin sicher, daß alles getan wurde, zumal
sie wußten, daß Ruschke mit dem Kind verwandt war. Aber es ging schlechter und
schlechter.
    Für
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