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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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Sie nicht mitkommen, Onkel
Ruschke?« fragte Evelyn. »Damische Ritter — das wäre doch was für Sie! Sie
könnten meine Schleppe tragen.«
    »Nee, det is mir zu teua«, sagte
Ruschke. »Ne Molle kann ick ooch in meine Destille trinken, ohne det ick
aussehe, wie eena von die sieben Schwaben. Aba kiekt ma nach unsan Amtmann — der
jeht imma. Bloß seine Olle darf et nich wissen — die würde ihm schön den
Harnisch massier’n. Wann jeht’s denn los?«
    »Acht Uhr«, sagte Evelyn.
    Ruschke nickt. »Na, denn sieh man zu,
det de an kenn Raubritta jerätst. Un Sie, Dokta, schnappen sich ne nette Kriemhilde...«
    »Werd’ mir’s merken«, sagte ich.
»Schade, daß Sie nicht mitmachen.«
    Um halb zwölf war Schluß. Wir klarten
unseren Laden auf, als es klingelte.
    Evelyn nahm ab und bekam ein langes
Gesicht.
    »Ja«, sagte sie Verdrossen, »ja — wenn
es sein muß — gut, ich komme rauf.«
    »Noch was?« fragte ich.
    Sie holte zwei Kassetten aus dem
Schrank.
    »Ja. Eine Gipskontrolle im OP. Sie
haben operiert. Lahringer! Wer weiß, wie lange der uns wieder aufhält.«
    »Ich gehe mit«, sagte ich. »Da wird er
sich kurzfassen.«
    »Nett von dir.«
    Wir fuhren rauf. Im OP wurde
aufgeräumt, und Rudolfina scheuchte ihre Mannschaft umher. Zwischendurch
flimmerte sie ihre geliebten Instrumente. Sie nahm uns gleich in Empfang.
    »Im Gipsraum«, sagte sie. »Er ist
gerade eingegipst worden.«
    Die Röntgenkugel, ein kleiner
Aufnahmeapparat auf einem fahrbaren Stativ, stand in einem Winkel des Saales.
Wir zerrten sie über den Flur zum Gipsraum.
    Der Patient lag noch in Narkose.
Lahringer und Melchior standen dabei. Sie waren gerade mit dem Oberschenkelgips
fertig.
    »Grüß Gott«, sagte Lahringer. »Wir
brauchen den Oberschenkel noch mal — haben blutig einrichten müssen.«
    Wir knipsten das Bein in zwei Ebenen,
und Evelyn verschwand mit den Kassetten. Zehn Minuten danach war sie wieder
oben und schwenkte die nassen Bilder in der Hand. Ruschke trat mit ihr durch
die Tür und machte sich daran, die Trage mit dem Patienten hinauszurollen.
    Aber es kam nicht dazu.
    Die Tür wurde aufgerissen, und
Rudolfina stand auf der Schwelle. Ihre Lippen bebten, und in ihren Augen stand
die nackte Furcht.
    »Herr Doktor Lahringer«, sagte sie mit
heiserer Stimme.
    Lahringer ließ die Aufnahme, die er
gegen das Fenster hielt, sinken und wandte sich um. Melchior hob den Kopf.
Ruschke blieb stehen.
    Rudolfina sah rundum, als wollte sie
sich vergewissern, ob auch alle zuhörten.
    »Es fehlt wieder ein Skalpell«, sagte
sie.
    Der Satz schwang noch in der Luft, als
sie längst verstummt war. Mir war, als zöge ein eisiger Hauch durch den Raum
und in meine Herzgrube.
    »Was?« sagte Lahringer mit ferner,
fremder Stimme. »Was sagen Sie?«
    »Ein Skalpell — so eins wie damals, ein
großes — ich kann es nirgends finden. Es ist nicht da.«
    Ich zog meine Augen blitzschnell von
einem Gesicht zum anderen. Lahringer starrte die Schwester an, als hätte er
nicht verstanden.
    Melchiors Augen schlossen sich für
einen Moment zu schmalen Schlitzen.
    Ruschke sah ratlos zu mir herüber.
    Evelyn konnte ich nicht sehen, weil sie
hinter mir stand. Lahringer fuhr sich mit der Hand an den Kragen seines
Operationskittels.
    »Seit wann fehlt es?«
    »Am Mittwoch waren sie noch alle da!«
Rudolfinas Stimme wurde weinerlich. »Außer den kürzlich gestohlenen und jetzt...«
    Lahringer senkte den Kopf und nagte an
seiner Unterlippe. Dann sah er auf. »Was sollen wir machen?«
    »Kommissar Nogees verständigen«, sagte
ich. »Alles andere ist seine Sache.«
    »Ja«, sagte er, »ja, das — das ist wohl
das richtigste — würden Sie das übernehmen, Herr Thomsen?«
    »Ja.«
    In die Pause, die folgte, schnarrte
Melchiors Stimme.
    »Wollen wir nicht vorher noch mal
suchen? Wäre doch peinlich, wenn es plötzlich wieder da ist.«
    Ich sah ihm frontal ins Gesicht und
sagte: »Die anderen waren auch plötzlich wieder da, Herr Melchior.«
    Sein Blick war nicht eitel Zuneigung,
aber er schwieg.
    »Brauchen Sie uns noch, Herr
Lahringer?« fragte ich.
    »Nein, danke — die Aufnahmen sind gut —
vielen Dank.«
    Ich nahm Evelyn mit hinaus. Wir gingen
zum Aufzug. Gerade hatte ich den Mörder vergessen wollen. Aber er hatte mich an
seine Existenz erinnert. Er war noch da. Unsichtbar, drohend, grausam.
    Evelyn drängte sich an mich, als wir in
der Kabine standen.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie. »Es
passiert etwas — ich weiß es! Bleib bei mir!«
    Ich ging mit
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