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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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    *
     
    Es dauerte wieder eine Stunde, bis ich
mich in die beste Wohngegend Bogenhausens durchgefitzt hatte. Über einen roten
Läufer und Marmorstufen und vorbei an einem Fahrstuhl außer Betrieb stieg ich
empor zur Witwe des Professors.
    Ein Mädchen mit langweiligem Gesicht
und Spitzenschürze öffnete. Ohne Zweifel die vorhandene Bedienung. Ich zog
meinen Hut und grinste sie an.
    »Guten Tag. Ich möchte hier ein Zimmer
ansehen.«
    »Kommen Sie rein, bitte schön.«
    Ich trottete hinter ihr her und sah,
daß mit ihren Beinen auch nicht viel los war. Keine Anfechtung für einen Untermieter,
nicht mal für einen unsoliden.
    »Hier, bitte schön. Ich rufe die gnä
Frau.«
    »Rufen Sie sie«, sagte ich, ließ mich
nieder und wartete, ob Mottenkugeln aus dem Sessel fallen würden.
    Nach ein paar Minuten erschien die gnä
Frau.
    Nilpferd in Plüsch, war mein erster
Gedanke. Alles an ihr hing nach unten. Sie mußte ungefähr so viel wiegen wie
das Dienstmädchen und ich zusammen.
    Sie wallte auf mich zu. Ihr Lächeln
machte sie nicht schöner. »Thomsen«, sagte ich.
    »Sie sind der Arzt, ja?«
    Ich leugnete es nicht.
    »Reizend! Mein Mann war auch Mediziner.
Sie haben doch sicher von ihm gehört?«
    Niemals das geringste hatte ich.
    »Ja, gnädige Frau. War er nicht mal in
Berlin!«
    »Natürlich! Gott, daß Sie das wissen!
Zwei, — nein, zweieinhalb Jahre.«
    Ich nickte befriedigt.
    Schwein gehabt.
     
    *
     
    Die nächste Viertelstunde verging
damit, daß sie den Lebensweg ihres Mannes und ihre eigenen Beschwerden
schilderte.
    Ich schnitt die entsprechenden
Gesichter.
    Als sie Galle und Herz beendet hatte
und zum Rheuma übergehen wollte, unterbrach ich sie.
    »Verzeihung — könnten Sie so gut sein,
mir jetzt das Zimmer zu zeigen? Ich habe noch viele Wege.«
    Ihr Lächeln strengte sie jetzt etwas
mehr an, aber sie erhob sich, und ich folgte ihr.’
    Sie stieß eine von vielen Türen auf.
    Das war also der Ersatz fürs eigene
Heim.
    Dunkel, etwas muffig und antiquarisch.
Ein Haufen unnötiges Zeug stand herum. Ein anständiges Fest, und der ganze Kram
war zum Teufel. Nein, das war nichts für mich. Ich beschloß, es kurz zu machen.
    »Sehr schön. Was soll es denn kosten?«
    »Der reine Mietpreis ist 130 Mark«,
sagte sie leichthin.
    »So.« Du hast einen Vogel, Anita,
dachte ich.
    »Dazu käme natürlich Licht fünf Mark,
für die Heizung zwanzig Mark, Bedienung zehn Mark — was wäre denn noch — ach
ja, die Bäder — eine Mark pro Bad rechne ich. Und wenn Sie das Frühstück
wünschen — eine Mark pro Tag.«
    Das alles brachte sie mit unverschämter
Liebenswürdigkeit hervor.
    »Käme so an die 200 Mark«, murmelte
ich. »Eigentlich wollte ich nur ein Zimmer und nicht die ganze Wohnung.«
    Das Lächeln verschwand von ihrem
Gesicht wie der Schatten eines Nachtvogels.
    »Wie meinen Sie?«
    »Ich meine, daß 200 Mark etwa die Miete
für diese Wohnung sind«, sagte ich freundlich. Ihre Fettmassen erstarrten
hoheitsvoll.
    »Sie werden in dieser Gegend nichts
anderes finden.«
    »Dann muß ich in eine andere ziehen.
Tut mir leid, gnädige Frau, aber das ist mir zu teuer. Auf Wiedersehen und
schönen Dank für Ihre Mühe.«
    Gleich darauf war ich draußen, und die
Tür schloß sich unmittelbar hinter mir, ohne daß ich sie berührt hatte.
     
    *
     
    Also bis jetzt war es nichts.
    Ich ging langsam die Straße zurück und
las dabei die Karte, die ich mit den Briefen erhalten hatte.
     
    Claus Wildbolz, München, 22.1.1959
    cand. med., Widenmayerstraße 47,
Hinterhaus
    Sehr geehrter Herr Doktor!
    Mit Bezug auf Ihr Inserat: Ich gehe
nach Freiburg und gebe aml.2. mein Zimmer auf. Vielleicht ist es etwas für Sie.
Kellerwohnung mit eigenem Eingang, absolut schallsicher. Ofenheizung,
fließendes Wasser. Miete 60 Mark. Habe allerdings einiges installiert und müßte
Sie um 200 Mark Abstand bitten.
    Wenn Sie interessiert sind, kommen Sie
vorbei. Bin augenblicklich meistens zu Hause.
     
    Nach der Schrift mußte es sich um ein
höheres Semester handeln. War schon ziemlich ärztlich.
    Die Bude konnte gut sein. Bloß die 200
Mark störten mich. Vielleicht ließ der Herr Kollege mit sich handeln. Ich
fragte einen behäbigen Mann mit Lodenmantel nach der Widenmayerstraße und
erfuhr, daß ich nicht weit davon entfernt wäre.
    Sollte ich erst essen? Ach was, Kathis
Weißwürste hielten noch vor. Vielleicht war der cand. med. jetzt gerade zu
Hause. Je eher ich etwas finden würde, um so besser.
    Ich ging über eine
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