Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
Fuß, zwischen zwei
Glasplatten.
    Die mattglänzende Chamoisfotografie
eines selten schönen Mädchens. Sie hatte helle, fast grüne Augen, wie ein
bayrischer Bergsee. Das Gesicht war schmal, etwas hochmütig und etwas erstaunt,
als wunderte sie sich über den, der sie geknipst hatte. Feine Nasenflügel und
seidige Wimpern. Ganz zart und leicht fielen die Locken über die Stirn wie
Flaumfedern und bildeten zwei kleine Hörner an jeder Seite der Stirn. Wirklich
ein hübsches Kind. Würde bitterlich weinen, wenn sie das hier sehen könnte. Mit
einem Male merkte ich, daß ich Hunger hatte. Irgend etwas mußte geschehen.
    Ich zog den Schlüssel heraus und schloß
die Tür von außen ab. Im Keller sah ich mich noch einmal um, ehe ich die Funzel
ausknipste, aber kein Mörder war zu sehen. War mir auch lieber so.
    Eine Querstraße weiter fand ich eine
Telefonzelle. Ich war zu faul, die normale Nummer herauszusuchen. Das Präsidium
meldete sich auf den Notruf sehr schnell. Ich leierte meinen Spruch herunter,
gab die Adresse an und meinen Namen.
    Dann ging ich zu dem Brustkorbchirurgen
zurück.
     
    *
     
    Der Kommissar hieß Nogees und sah aus
wie ein Abteilungsleiter der Knabenkonfektion. Er hatte glattes, schwarzes Haar
und bräunliche Nikotinfinger. Sein Anzug war von der Stange, aber er stand ihm.
    Wir saßen uns in der Couchecke
gegenüber. Rundherum arbeitete sein Team mit schweigender Präzision. Der
grauhaarige Polizeiarzt sah abwechselnd auf den Toten und in das Chirurgiebuch.
Wahrscheinlich wollte er seine Kenntnisse auffrischen.
    Der Kommissar hielt meinen Ausweis wie
ein Gesangbuch in der Hand.
    »Dr. Johannes Thomsen, Hamburg. Weit
von hier, was?«
    »Ziemlich. Die Fahrt kostet siebzig
Mark.«
    »Was tun Sie in München?«
    Ich erklärte ihm, daß ich ab übermorgen
am Krankenhaus angestellt sei. Er schien sich darüber genauso zu wundern wie
ich.
    »Wie kamen Sie hierher?«
    Ich machte eine Kopfbewegung zu dem
Toten hin.
    »Ich hatte annonciert. Er schrieb mir,
und ich wollte mir das Zimmer ansehen.«
    »Haben Sie...«
    Ich hielt ihm die Karte hin, bevor er
den Satz vollendet hatte. Bei der Polizei muß man zuvorkommend sein.
    Er las sie aufmerksam. Mittlerweile
schleppten sie den armen Kerl ab, und ich sah ihm nach. Ein Toter sieht immer
so furchtbar zusammengefallen aus, viel kleiner und flacher, als er vorher
gewesen war. Das Messer in seinem Rücken bewegte sich, — und ich wäre am
liebsten hingelaufen und hätte es rausgezogen.
    Die Stimme des Kommissars kam zu mir
herüber.
    »Wann waren Sie hier?«
    »Zwanzig vor zwei.«
    »Wo waren Sie seit Ihrer Ankunft?«
    Ich erzählte ihm von Therese Lindinger
und Anita mit dem eigenen Heim.
    »Haben Sie hier etwas berührt?«
    »Die Türklinke und den Schlüssel — ja,
und seine Hand, ganz kurz.«
    Das schien ihn nicht zu verwundern.
    Er nickte.
    Eine Weile sagte er nichts und
kritzelte in seinem Notizbuch herum. Plötzlich sah er auf, und in seinen Augen
stand Neugier.
    »Möchten Sie noch in dieses Zimmer
ziehen?«
    »Warum nicht«, sagte ich leichthin. »So
was findet man nicht alle Tage.«
    Damals wußte ich noch nicht, was mir
bevorstand.
     
    *
     
    Ich ging zum Hauswirt, nachdem Nogees
ihn interviewt hatte, und machte mit ihm aus, daß ich das Zimmer nehmen würde,
wenn es von der Polizei freigegeben wäre. Er war froh, so schnell jemanden
wieder zu kriegen.
    »Wird a scheens G’red geb’n in dera
Hütt’n«, sagte er verdrießlich. »Hoffentlich wern S’ net a no derstocha.«
    »Ich zahle die Miete im voraus«, sagte
ich. »Wem gehören die Möbel?«
    Er sagte, es wären seine, und ich
könnte sie benützen. Zufrieden schieden wir voneinander.
    Ich weiß nicht, welcher Teufel mich
ritt, aber irgendwie hatte ich die fixe Idee, dem Burschen auf die Spur zu
kommen, der dem Jungen das Messer an die richtige Stelle gesetzt hatte, wenn
ich in diesem Keller bliebe. Außerdem war das die richtige Umgebung für mich.
Keine Wirtin, die morgens ein Gesicht zog, wenn sie einem Mädchen auf dem Flur
begegnete.
    Am Abend quartierte ich mich in einer
drittklassigen, aber billigen Pension in der Nähe des Bahnhofs ein.
Anschließend aß ich bei Kathi ein komplettes Menü. Dann holte ich meinen Koffer
und zog mich aus dem Nachtleben zurück. Für die Aufregung an diesem ersten Tag
schlief ich ganz gut.
     
     
     

III
     
    Am Morgen de« 1. Februar schritt ich in
würdiger Haltung durch die Pforte des Krankenhauses, in dem ich fortan meine
Fähigkeiten unter Beweis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher