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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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Brücke. Unter mir
wälzte sich die Isar, schmutzig wie der Mississippi, aber gottlob nicht so
breit. Die Häuser der Widenmayerstraße sahen zu ihr hinüber.
    Durch eine Einfahrt gelangte ich in den
Hof von Nummer 47. Eine Teppichstange stand da und ein verbeulter Volkswagen.
    Im Hinterhaus führten ein paar Stufen
zu einer Tür hinunter.
    Eine Karte klebte am rechten Pfosten.
    Claus Wildbolz
    cand. med.
    Das war er. Ich klopfte mehrmals, aber
es geschah nichts. Dann drückte ich auf die Klinke. Die Tür ging auf, und kühle
Kellerluft zog um mein Gesicht.
    Nach einer Weile gewöhnten sich meine
Augen an das Halbdunkel. Rechts an der Wand war ein Lichtschalter. Ich knipste,
und eine rötlich trübe Birne warf Licht auf die rauhen Wände.
    Ich stand in einem länglichen
Kellerraum, von dem einige Holztüren mit Vorhängeschlössern abgingen. Röhren
liefen an der Decke entlang, und ein paar Kisten standen herum.
    Fast am anderen Ende war eine normale
Tür, und an ihrem Rahmen klebte etwas Weißes. Ich ging langsam darauf zu.
Dieselbe Karte wie draußen.
    Mein Klopfen hallte durch das Gewölbe.
Niemand öffnete.
    Ich hätte doch erst essen sollen.
    Ich war schon drauf und dran, den
Rückzug anzutreten, dann drückte ich auch auf diese Klinke.
    Die Tür öffnete sich, und damit ging
der ganze Ärger los.
    Ich sah in einen schmalen Raum, in den
von einer Seite Licht fiel. Links stand ein wackliger Kleiderschrank. Geradeaus
war eine Tür mit einer Milchglassscheibe. Wahrscheinlich die Toilette mit den
Installationen zu 200 Mark.
    Die Tür auf der rechten Seite, dem
Schrank gegenüber, war halb geöffnet. Von hier kam das Licht, aus Fenstern, die
ich nicht sehen konnte.
    Aber etwas anderes sah ich.
    Ein Stück von einem Schreibtisch. Ein
paar Bücher und daneben eine blasse, reglose Hand.
    Ich wartete. Die Hand bewegte sich
nicht.
    »Hallo«, rief ich. Nichts antwortete
als ein Klicken in den Heizungsröhrchen.
    Mein Zwerchfell spannte sich ein
bißchen. Irgend etwas war da nicht in Ordnung.
    Ich schloß die Wohnungstür hinter mir
und lauschte noch einmal. Kein Geräusch, gar nichts.
    Langsam schob ich mich durch den
Türspalt.
    Die Hand gehörte einem jungen Mann, der
am Schreibtisch saß. Sein Stuhl war etwas zurückgeschoben, und sein Kopf lag
auf der Platte. Der andere Arm hing an der Seite herunter.
    Mancher Kandidat der Medizin berechtigt
zu den größten Hoffnungen. Dieser würde es nicht mehr tun.
    Aus seinem Rücken, links neben der
Wirbelsäule, ragte der blinkende, gerillte Griff eines Skalpells.
    Ich lehnte mich an den Türpfosten und
nahm mechanisch meinen Hut ab.
     
     
     

II
     
    Mein Blutdruck ist sowieso immer
verflucht niedrig, und jetzt wurde er noch niedriger. Es dauerte eine Weile,
bis ich wieder klarkam. Ich erinnerte mich, daß man in diesen Fällen auf die
Uhr sehen müßte... Ich tat es. Zwanzig vor zwei.
    Fing ja wirklich gut an, mein
Aufenthalt hier. Ein Zimmer suchte ich, und einen Toten fand ich.
    Hoffentlich hatte sich der Regisseur
dieses lieblichen Schauspiels inzwischen verflüchtigt. Ich hatte keine
Sehnsucht nach dem Münchner Waldfriedhof, auch wenn Tirpitz da lag.
    Ich stieß mich von dem Pfosten ab und
ging um den Schreibtisch herum. Ja. Saß an der richtigen Stelle. Das Herz lag
genau darunter.
    Vor seinem Kopf lag ein aufgeschlagenes
Buch. Ich sah hin. Garre-Borchardt, Lehrbuch der Chirurgie.
    Ausgerechnet bei dem Kapitel »Die
Chirurgie des Brustkorbes« war er. So genau hatte er es bestimmt nicht wissen
wollen.
    Sein Gesicht war friedlich, nicht
verzerrt, eher etwas erstaunt. Er sah aus, als ob er seinen Mörder gekannt
hätte.
    Ich tastete nach seiner Hand. Sie
fühlte sich an wie kaltes, erstarrtes Wachs. Er konnte schon seit gestern so
dasitzen. Schöne Schweinerei.
    Mein Blick wanderte durch den Raum. Die
Bude war wirklich nicht schlecht. Dicke Steinmauern, die auch den gewaltigsten
Krach bei sich behalten mußten. Zwei Fenster zu ebener Erde, dahinter ein Stück
Wiese, dann die träge Strömung des Kanals. Sah aus, als wollte er jeden Moment
überlaufen.
    Hinten, in der rechten Fensterecke,
standen zwei Couches rechtwinklig aneinander, davor ein niedriger Tisch und
zwei Hocker. Ein paar Bücherregale, eine Kommode. Das war alles. An die Wände
hatte er eine Art Gobelin aus grobem Ripstuch genagelt. Das Tuch war mit den
ausgeschnittenen Köpfen niedlicher Mädchen beklebt.
    Noch ein Bild sah ich. Es stand links
von seinem Kopf auf dem Schreibtisch, in einem versilberten
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