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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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zusammenzuarbeiten. Wenn
ich irgend etwas hätte, sollte ich getrost zu ihm kommen. Der Hauskaplan sei
zuerst zu grüßen. Beides versprach ich zu tun.
    Die Oberin bestand vorwiegend aus Seide
und gestärktem Leinen. Sie lächelte freundlich und nickte fortwährend mit dem
Kopf. Ich führte schöne Reden. Man sagte mir erst später, daß sie schwerhörig
sei. War nicht viel los mit meinem klinischen Blick.
    An diesem Tag drückte ich mich ziemlich
bald, denn ich bin für langsamen Anlauf. Abends lag ich in dem knarrenden
Pensionsbett und dachte an alle, die ich gesehen hatte.
    Vor allem an Evelyn Jacobs. Dann fiel
mir Wildbolz ein, in dessen Zimmer ich ziehen wollte. Was für eine Verbindung bestand
zwischen ihnen? Ob sie wußte, daß er tot war? Was hatte sie mit ihm zu tun
gehabt?
    Wirklich eine Schande, auf einen toten
Mann eifersüchtig zu sein.
     
     
     

IV
     
    Am nächsten Tag lernte ich einiges
dazu.
    Evelyn und ich standen am Schalttisch
hinter dem Bleiglasschirm und warteten auf den ersten Patienten.
    »Am Anfang werde ich Ihnen ziemlich
viel im Weg herumstehen«, sagte ich. »Schieben Sie mich einfach zur Seite.«
    »Hier steht jeder dem anderen im Wege«,
antwortete sie.
    »Mit Ihnen würde ich gern möglichst oft
zusammenstoßen«, sagte ich.
    Sie drehte ihre schönen Augen zu mir.
    »Warum?«
    Frauen wollen es immer genau wissen.
Ich erzählte ihr von meinem niedrigen Blutdruck und daß ihre Berührung ihn
steigern würde. Mit Schlaganfällen wäre zu rechnen.
    »Dann werde ich Ihnen aus dem Wege
gehen.« Ihre Hand spielte an den Schaltknöpfen. Ihre Fingernägel waren kleine,
mattsilberne Muscheln.
    »Ich hoffte gerade, daß Sie sich um
mich kümmern«, sagte ich. »Kenne hier niemanden. Der Verwahrlosung sind Tür und
Tor...«
    Wie auf ein Stichwort öffnete sich die
Tür. Evelyn lachte und rief: »Morgen, Herr Ruschke!«
    Paul Ruschke trat ein.
    Von vorn sah ich ihn erst, als er den
Wagen mit dem Patienten durch die Tür gezogen hatte und sich umdrehte.
    »Morjen, Evelynchen«, sagte er, und die
Gedächtniskirche leuchtete durch seine Stimme. »Denn will ick euch mal wat
anliefern.«
    Er kam heran, und ich sagte meinen
Namen.
    »Wollen Se hier Ihre Brötchen
verdienen?« fragte er, als wir unsere Hände losgelassen hatten.
    »Und Bier«, sagte ich.
    »Herr Ruschke ist unser Bester«,
erklärte Evelyn. »Zu ihm müssen Sie nett sein.« Ich versprach es.
    Es stellte sich heraus, daß Ruschke
Oberpfleger auf der Chirurgie war. Der Teufel mochte wissen, wie er das hier im
feindlichen Ausland hatte werden können, aber er war es. Er gefiel mir. Er sah
aus wie eine verkleinerte Ausgabe von Leo Slezak. Sein Kittel hing unordentlich
um ihn herum. Aus der linken Tasche ragte die letzte Ausgabe des Abendblattes.
Auch später sah ich ihn nie ohne sein Lieblingsblatt. Er zwinkerte mir zu.
    »Netter Raum hier, was? Müssen Ihrem
Ober dankbar sein, det er Sie in die Knochenmühle jesteckt hat. Evelynchen is
det steilste Kind von der janzen Firma.«
    »Werde sie wie meine Frau vor der
Hochzeit behandeln«, sagte ich.
    »Det will ick hoffen«, sagte Ruschke.
Inzwischen bekam das steile Kind rote Ohren.
    Ruschke wies mit dem Kopf auf die
Tragbahre.
    »Ruft an, wenn er fertig ist. Ich muß
weiter.«
    »Bringen Sie uns heute nicht zuviel«,
sagte Evelyn. »Dr. Thomsen ist noch neu.«
    Frech war sie gar nicht.
    »Wees noch nich«, sagte Ruschke von der
Tür her. »schon allerhand da. Scheint Föhn zu herrschen. Tut man was, Ihr
Goldkinder.«
    Er verschwand, und wir kümmerten uns um
den Patienten.
    Der Vormittag verging rasch.
     
    *
     
    Das Ärztekasino war ein nüchterner und
ziemlich unordentlicher Raum. Es roch penetrant nach Bratensoße und
Kartoffelschalen. Ich sah ein paar Kollegen, die ich schon kannte, und einige
andere, denen ich mich noch vorstellen mußte. Erst störte ich etliche Leute
beim Essen, und dann legte ich mindestens achtmal das Besteck hin, quetschte
mich halbverkrümmt zwischen Stuhl und Tisch hoch, hielt mit der linken Hand die
Serviette und ergriff mit der rechten die eines anderen. Es war eine Strapaze.
Anschließend wurde ich von allen Seiten betrachtet.
    Nach einiger Zeit kamen der Oberarzt
und Süßmilch.
    Sie setzten sich in meine Nähe, und
Süßmilch schob dem Ober mit einer Verbeugung den Stuhl in die Kniekehlen.
    Ich sah später, daß er sich auch
verbeugte, wenn er mit einem Vorgesetzten telefonierte. Sicher hatte man früher
oft zu ihm gesagt: »Mach einen Diener,
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