Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
Tischplatte, ehe er
wieder zu seinem Krug griff. »Aba ick will nischt jesacht ham, ooch nich jejent
Röntjen. Sie in Ihre Knochenmühle ham jenuch zu tun, dafür sorj ick schon.«
    »Mit Evelyn halte ich es aus«, sagte
ich. Er nickte bekräftigend.
    »Nettes Kind. Un der Olle hat Pulva.
Handelt mit Innenarchitektur, Jardin’ un abwaschbare Bettvorleja un son Kram
allet!« Er hob den Kopf. »Aba ibalejen Se sich, bevor Se einheiratn. De janze
puckliche Vawandtschaft hängt dran. Zu jedn Jeburtstach von Opa, Oma un alle
Tantens müssen Se mitlatschn un den selbstjebacknen Kuchn probiern. Un jedn
Sonntachahmd ham Se sich brav im Schoße der Familie uffzuhaltn. ›Nett, det a da
seid, Kinda‹ heeßt et denn, ›darfst ooch ne Pulle Wein ruffholn, Schwiejasohn.‹
Denn latschn Se mit Ihre mattn Stelzen vier Treppen in Kella un wiedij ruff. ›Oh,
det is die jute‹ saren se denn, ›die wollten wa eijentlich zu Weihnachten
trinkn.‹ Denn renn’ Se nochma runta und holn de andere. Die wird denn uff sechs
Jläsa vateilt. ›Seid man lustich, Kinda‹, sacht Schwiejamama, ›die dürfta alle
machn‹. Ja. Un um halb zehne heeßt et: ›Nu jeht man scheen int Bette, Kinda.
Habt morjen ‘n schweren Tach vor euch!‹«
    Ich mußte lachen. »Sie kennen den
Betrieb, was?«
    »Un ob ick ihn kenne. Warne Neujierije.
Mädchen sin jut, solange man se wechseln kann.«
    Ich nickte: Wir machten unsere Flaschen
leer, und ich holte zwei neue.
    »Kann ick ja jar nich annehmen«, sagte
Ruschke und füllte seinen Krug. »Trinken Se imma aus der Pulle?«
    »Ja«, sagte ich. »Wurde zu früh
abgestillt.«
    »Aha. Un nu holn Se de Brust nach,
wat?«
    »Wenn eine da ist.«
    »Hm.« Ruschke sah versonnen aus. »Hier
in den Schuppn loofn noch ne Menge Weiwa rum, die jerne mal ‘n ältaren Säuchling
schtilln würdn. Aba in ‘n Betrieb is imma sone Sache. Kann Ärja jebn. Sehn Se
sich lieba in de Stadt um«.
    »Im Fasching?«
    Er schlug geringschätzig mit der Hand
durch die Luft.
    »Ach wat, Fasching! Da jeht allet nur
per Arm hin. Entweda kenn’ se sich ausn selbn Betrieb, oda aus deselbe
Tanzstunde oda aus ‘n selben Kindagarten. Der Jalan bleibt imma uff Sichtweite,
damit seine Anjebetete nischt passiert. Frei Jachd is nich.«
    »Soll auch Amateure geben, die mal
Erfolg haben«, sagte ich.
    »Na ja. Aba in ‘n Fasching, da ahn’ se
eha, wat man mit die süßn Redn will, un sind vorsichtig«
    »Ich werde mir’s ansehen«, sagte ich. »Vielleicht
geht Evelyn mal mit mir.«
    Ruschke kratzte sich an der Nase.
»Möchlich is allet«, sagte er.
    Wir gossen die Reste hinunter.
    »Noch eine?«
    »Nee danke. Muß wieda int Jeschäft. Merken
Se mir vor für’t nächste Mal.«
    Wir traten auf den heißen Gang hinaus.
Der Kantinier sah uns aus schläfrigen Augen nach.
     
     
     

V
     
    Am 6. Februar, dem ersten Sonntag nach
meiner Ankunft, zog ich in das Zimmer des Ermordeten ein.
    Ich durchquerte den Hof, in dem wie
damals der verbeulte Volkswagen neben der Teppichstange stand. Die Stufen der
Steintreppe sahen aus, als wäre seit hundert Jahren niemand darübergelaufen.
Die trübe Birne im Vorraum, die Kisten und Heizungsröhren, alles war wie
vorher. Nur an den Türrahmen hingen keine Visitenkarten mehr. Dafür sah man
noch die Klebestellen der Polizeisiegel.
    Ich schloß die Wohnungstür auf und
stellte meinen Koffer nieder. Von der Toilette her fiel kalkiges Licht durch
die Milchglasscheibe. Ich ging hin und öffnete die Tür.
    Klein, aber mein.
    Im Kleiderschrank hing ein einziger
Bügel. Ich stülpte meinen Mantel darüber. Eleganz tat ihm not.
    Einen Augenblick zögerte ich, ehe ich
die Tür zu meinem Wohnzimmer öffnete. Aber diesmal saß kein Toter an meinem
Schreibtisch.
    Ich ging langsam durch das Zimmer und
öffnete eines der Fenster. Ein Schwall von frostiger Luft zog herein, und das
Rauschen des Kanals kam deutlicher herüber. Draußen lag Schnee in schmutzigen
Streifen. Borstige Bäume froren.
    Ich lehnte mich in die Couchecke und
sah mich um.
    Irgend jemand hatte die Habseligkeiten
des Toten abgeholt. Kahle Möbel und leere Bücherregale. Nur die Ripstapeten mit
den lieblichen Mädchen hingen noch. Wahrscheinlich hatte sie der
Nachlaßverwalter dagelassen, weil sie gewissermaßen überindividuell und für
jeden männlichen Mieter geeignet waren. Auf die Art waren wenigstens die Wände
behängt, und ich brauchte keine Gebirgslandschaft und keinen Hasen von Dürer zu
kaufen.
    Mir wurde kalt, und ich schloß das
Fenster. Dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher