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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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packte ich meinen Koffer aus und verteilte meinen geringen Besitz
in die entsprechenden Fächer. Nirgendwo war etwas von Wildbolz zurückgeblieben.
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und
zog zu beiden Seiten die Schubfächer heraus. Auch hier war alles leer. Kein
Buch, kein Schriftstück. Als sollte jede Erinnerung an ihn ausgelöscht werden.
Auch Evelyns Bild war weg.
    Ich faltete die Hände über der
Schreibtischplatte und sah zur Tür. Hier hatte er gesessen. Dort war der Mörder
hereingekommen. Würde er noch mal erscheinen?
    Ich starrte so lange auf die Klinke,
bis sie sich bewegte, und ich lauschte so lange in die Stille, bis ich überall
Geräusche hörte. Fing ich jetzt schon an zu spinnen?
    Wer hat etwas gegen den Jungen gehabt,
dachte ich. Warum mußte er sterben? Hat Nogees schon eine Spur? Wer, zum
Teufel, hat dir geraten, in dieses Zimmer zu ziehen?
     
    *
     
    Nach ein paar Tagen war die Bude schon
wohnlicher. Einige raffinierte Lampen hatte ich montiert wie das Armaturenbrett
eines Straßenkreuzers. Die Bücherregale waren zu einer Art Hausbar
zusammengestellt. Bücher hatte ich sowieso nicht, ich war nicht zum Lesen hier.
Der Platz vor dem rechten Fenster würde bis zum Frühjahr mein Eisschrank sein,
und ein paar mittelgroße, verchromte Becher hatte ich mir als
Universaltrinkgefäße gekauft. Mit Gläsern hatte ich schlechte Erfahrungen.
    Trotz alledem sah es immer noch so aus,
als wäre der Gerichtsvollzieher samt Gehilfen durch das Revier gestreift. Wenn
nur eine meiner abgeblendeten Lampen brannte, sah man es nicht so. Bei Tag
dafür um so mehr. Aber das machte mir keinen Kummer. Mit der Zeit würde sich
mein Besitz vermehren.
    Mädchen haben immer Mitleid mit
Junggesellen. Einsamkeit und Verwahrlosung rühren ihr Herz.
    Ich beschloß, mit Evelyn den Anfang zu
machen. Sie war genau mein Typ. Was mir an Schönheit fehlte, hatte sie.
Vielleicht brauchte ich nach ihr keine andere mehr zu bemühen. Im stillen
hoffte ich das. Außerdem wollte ich etwas über Wildbolz erfahren.
    Ich schnappte sie am Mittwoch nach
meinem Einzug, als der letzte Patient draußen und sie beim Aufräumen war.
    »Fräulein Jacobs!«
    »Herr Doktor?«
    »Wie lange müssen Sie einen Mann
kennen, ehe Sie sich von ihm in seine Wohnung einladen lassen?«
    Ihre Pupillen wurden etwas weiter.
    »Warum?«
    »Weil das verschieden ist.«
    »Kommt darauf an.«
    »Aha. Ich möchte am Sonnabend mein
bescheidenes Heim einweihen. Hierzu hätte ich Sie gern gebeten. Wenn Sie etwas
anderes vorhaben oder längere Fristen einzuhalten pflegen, verschiebe ich die
Einweihung, bis Sie geneigt sind.»
    »Und wenn ich nicht geneigt bin?«
    »Wird man meinen Leichnam am Sonntag in
der Isar finden. Zwischen Eisschollen und anderen Lebensmüden.«
    »Da hält er sich gut«, sagte sie; »Wer
kommt denn noch?«
    »Ich sagte Ihnen schon, daß ich
niemanden kenne. Außerdem habe ich nur zwei Stühle.«
    »Wo wohnen Sie überhaupt?«
    Das klang schon freundlicher. Ich paßte
scharf auf, als ich die nächsten Worte sprach.
    »In der Widenmayerstraße«, sagte ich.
»Nummer 47. Im tiefen Keller sitz’ ich dort.«
    In ihrem Gesicht rührte sich keine
Faser. Es wurde nicht rot und nicht blaß. Sie schien noch nie in ihrem jungen
Leben von der Widenmayerstraße 47 gehört zu haben. Oder sie nahm sich
meisterhaft zusammen. Wie es auch sein mochte, mein Argwohn schwand, und ich
freute mich darüber. Wenn jemand ein Bild von einem Mädchen in seiner Wohnung
hatte, brauchte sie noch lange nicht dort gewesen sein.
    »Warten Sie mal«, sagte sie und
versuchte, ihre glatte Stirn zu runzeln. »Ich muß erst... am Sonnabend sage ich
Bescheid, ja?«
    »Das ewige Vielleicht«, sagte ich.
»Also schön.«
    Am Sonnabend zeigte sich kein
Fortschritt. Sie wüßte nicht, ob sie von zu Haus weg könnte. Verwandte kämen.
Wenn ja, wollte sie um acht Uhr da sein.
    Ich kaufte die nötigen Zutaten, räumte
auf und zog mein bestes Hemd an. Um sieben rasierte ich mich noch mal, was ich
selten tue. Ab acht saß ich auf dem Sprung und war leicht nervös.
    Für den Anfang sah alles ganz nett aus.
Auf dem Tisch flackerte eine Kerze, die vom Advent übriggeblieben war. Die
Silberbecher warfen ihren Schein zurück. Sogar Blumen hatte ich gekauft, aber
ich wußte nicht, wie sie hießen. Die Flaschen kühlten vor dem Fenster.
    Es vergingen zehn Minuten und fünfzehn.
Nichts geschah. Ich stand auf, stocherte im Ofen, setzte mich wieder hin. Als
eine halbe Stunde herum war, zog ich die
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