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Und morgen bist Du tot

Und morgen bist Du tot

Titel: Und morgen bist Du tot
Autoren: Peter James
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1
    SUSAN HASSTE DAS MOTORRAD. Sie sagte immer zu Nat, Motorradfahren sei die gefährlichste Sache der Welt. Nat zog sie dann gern damit auf, dass das statistisch gesehen falsch sei. Der gefährlichste Ort auf Erden sei die eigene Küche. Dort werde einen der Tod am wahrscheinlichsten ereilen.
    Er sprach aus seiner Erfahrung als Oberarzt. Natürlich gab es schlimme Motorradunfälle, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was in Küchen passierte.
    Menschen erlitten Stromschläge, weil sie Gabeln in Toaster steckten. Sie brachen sich den Hals, weil sie von Stühlen fielen. Sie erstickten. Fielen einer Lebensmittelvergiftung zum Opfer. Besonders gern erzählte er die Geschichte einer Patientin aus der Notaufnahme des Royal Sussex County Hospital, in dem er arbeitete oder, wie er zu sagen pflegte, sich überarbeitete. Die Frau war halb in ihre verstopfte Spülmaschine gekrochen und hatte sich dabei ein Ausbeinmesser ins Auge gerammt.
    Motorräder seien überhaupt nicht gefährlich, nicht einmal seine gewaltige rote Honda Fireblade (die in drei Sekunden auf hundert beschleunigte). Das Problem seien die anderen Verkehrsteilnehmer. Man müsse sie eben im Auge behalten, fertig, aus. Außerdem sei der CO 2 -Ausstoß seiner Fireblade deutlich geringer als der ihres klapprigen Audi TT.
    Das allerdings überhörte sie.
    Sie überhörte auch sein Gejammer, weil er das in fünf Wochen bevorstehende Weihnachtsfest mit den Schwiegermonstern verbringen musste, wie er ihre Eltern zu nennen pflegte. Seine verstorbene Mutter hatte immer gesagt, man könne sich seine Freunde aussuchen, nicht aber seine Verwandten. Wie recht sie gehabt hatte!
    Irgendwo hatte er gelesen, ein Mann hoffe bei der Hochzeit, dass seine Frau sich nie verändern werde, während die Frau das Ziel verfolge, ihn zu verändern.
    Nun ja, Susan Cooper machte ihre Sache gar nicht schlecht, denn sie setzte die vernichtendste Waffe des gesamten weiblichen Arsenals ein: Sie war im sechsten Monat schwanger. Und Nat natürlich stolz wie Oskar. Er wusste nur zu gut, dass er bald der Wirklichkeit ins Auge blicken und die Fireblade gegen etwas Praktisches eintauschen musste. Einen Kombi oder Van. Und um Susans soziales und ökologisches Gewissen zu beruhigen, auch noch mit einem beschissenen Diesel-Elektro-Hybrid-Motor, Herrgott nochmal!
    Das konnte ja heiter werden!
    Er war erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen und saß gähnend am Küchentisch ihres Häuschens in Rodmell, etwa fünfzehn Kilometer von Brighton entfernt. Im Frühstücksfernsehen lief gerade ein Bericht über einen Selbstmordanschlag in Afghanistan. Laut Fernseher war es elf nach acht, nach seiner Uhr zwei Minuten früher. Aber es fühlte sich an wie mitten in der Nacht. Er löffelte seine Frühstücksflocken, spülte sie mit Orangensaft und schwarzem Kaffee hinunter und eilte noch einmal nach oben. Er küsste Susan und tätschelte zum Abschied ihren Bauch.
    »Fahr vorsichtig«, sagte sie.
    Glaubst du etwa, ich fahre mit Absicht riskant?, dachte er, sagte aber nur: »Ich liebe dich.« – »Ich dich auch. Ruf mich an.«
    Nat küsste sie noch einmal, ging hinunter, zog Helm und Lederhandschuhe an und trat in den frostigen Morgen hinaus. Es dämmerte gerade erst, als er die schwere rote Maschine aus der Garage schob. Der Boden war gefroren, aber es hatte seit mehreren Tagen nicht geregnet, also war kein Glatteis zu befürchten.
    Er schaute zu dem Fenster mit den geschlossenen Vorhängen hinauf und drückte zum letzten Mal in seinem Leben den Anlasser seines geliebten Motorrads.

2
    DR. ROSS HUNTER war eine der wenigen Konstanten in ihrem Leben, dachte Lynn Beckett, als sie an der Praxistür klingelte. Wenn sie ehrlich mit sich war, so ziemlich die einzige Konstante. Abgesehen vom Versagen. Das war definitiv eine Konstante. Sie war eine richtig gute Versagerin, das war schon immer so gewesen. Geradezu brillant. Sie könnte ohne weiteres in der Nationalmannschaft antreten.
    Im Grunde hatte sie in ihrem 37-jährigen Leben einen ganzen Rattenschwanz von Katastrophen hinterlassen, angefangen mit Kleinigkeiten wie damals, als sie sich mit sieben Jahren die Kuppe ihres Zeigefingers an einer zufallenden Autotür abgetrennt hatte. Je ernster das Leben wurde, desto schlimmer wurden auch die Katastrophen. Als Kind hatte sie ihre Eltern enttäuscht, als Ehefrau ihren Mann, und jetzt enttäuschte sie als alleinerziehende Mutter ihre halbwüchsige Tochter.
    Die Praxis befand sich in einer großen
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