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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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I
    G rant lag in seinem hohen weissen Bett und starrte zur Decke. Angeekelt starrte er sie an. Er kannte jeden noch so kleinen Sprung auf der hübschen, sauberen Fläche auswendig. Er hatte diese Decke zur Landkarte gemacht und hatte Flüsse, Inseln und Kontinente darauf entdeckt. Er hatte ein Vexierbild aus ihr gemacht und Gesichter, Vögel und Fische darin gefunden. Er hatte sie nach mathematischen Gesichtspunkten aufgeteilt und sich bei der Beschäftigung mit Winkeln, Rechtecken und Dreiecken in seine Kindheit zurückversetzt gefühlt. Nun konnte er sie nur noch anstarren. Ihr Anblick war ihm verhaßt.
    Er hatte die Zwergin gebeten, sein Bett ein wenig zu verrücken, damit er ein anderes Teil des Plafonds erforschen könne. Aber dies schien die Symmetrie des Raumes zu zerstören, und in Krankenhäusern kommt die Symmetrie kurz nach der Sauberkeit und ein gut Stück vor der Gottgefälligkeit. Alles, was der Symmetrie zuwiderlief, war eine Profanierung des Krankenhauses. Sie fragte ihn, weshalb er denn nicht lese. Weshalb er denn nicht einen dieser teuren nagelneuen Romane lese, die seine Freunde ihm ständig brächten?
    »Es werden viel zuviel Menschen geboren und viel zuviel Wörter geschrieben. Jede Minute kommen Millionen und aber Millionen Wörter aus den Druckmaschinen. Ein grauenhafter Gedanke.«
    »Ihre Verdauung ist wohl nicht in Ordnung«, sagte die Zwergin.
    Die Zwergin war Schwester Ingham, für einen nüchternen Betrachter eine wohlproportionierte, niedliche Person von etwa einem Meter fünfundfünfzig. Grant nannte sie die Zwergin, um sich dafür zu rächen, daß dieses Meißner Porzellanfigürchen ihn herumkommandierte; mit einer Hand hätte er das Ding hochheben können. Allerdings hätte er dazu auf beiden Beinen stehen müssen. Sie schrieb ihm nicht nur vor, was er zu tun und zu lassen habe, sondern ließ seinen ein Meter achtzig eine so unbeeindruckte Behandlung angedeihen, daß Grant sich gedemütigt fühlte. Größenordnungen schien es für die Zwergin nicht zu geben. Sie warf Matratzen mit der zerstreuten Anmut eines Fließbandarbeiters. Wenn sie dienstfrei hatte, wurde er von der Amazone versorgt, einer Göttin, deren Arme an die Äste einer Birke erinnerten. Die Amazone hieß Schwester Darroll, stammte aus Gloucestershire und wurde zur Zeit der Narzissenblüten immer heimwehkrank. (Die Zwergin stammte aus Lytham St. Anne’s und gab sich nicht mit solchem Narzissen-Blödsinn ab.) Schwester Darroll hatte große, sanfte Hände und große, sanfte Kuhaugen mit einem stets teilnahmsvollen Blick, mußte aber bei der geringsten körperlichen Anstrengung wie eine Dampfwalze schnaufen. Im großen ganzen empfand Grant die Behandlung als schweres, lebloses Gewicht noch demütigender als eine Behandlung, bei der sein Gewicht überhaupt keine Rolle zu spielen schien.
    Grant war bettlägerig und befand sich in der Obhut der Zwergin und der Amazone, weil er durch eine Falltür gestürzt war. Das war natürlich der Gipfel der Demütigung, neben dem das Geschnaufe der Amazone und das mühelose Herumbugsieren der Zwergin eine reine Lappalie blieben. Durch eine Falltür zu stürzen war die Höhe der Lächerlichkeit, es war ein Stummfilmgag, ebenso trivial wie grotesk. Als er da vom Erdboden verschwand, war Grant gerade Benny Skoll auf den Fersen gewesen, und die Tatsache, daß Ben an der nächsten Ecke dem Sergeanten Williams in die Arme gelaufen war, bildete den einzigen geringen Trost dieses unerträglichen Vorfalls.
    Benny war jetzt auf drei Jahre »versorgt«, was für die Mitwelt höchst erfreulich war. Aber Benny würde man gewiß einen Teil der Strafe wegen guter Führung erlassen. In Krankenhäusern gab es keine Strafverkürzung wegen guter Führung.
    Grant wandte den Blick von der Decke und ließ ihn nun über den Bücherstapel auf dem Nachttisch gleiten. Da lag der fröhlich bunte, teure Haufen, auf den die Zwergin seine Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Der obenauf liegende Band mit der hübschen Ansicht von Valetta in unwahrscheinlichem Rosa war Lavinia Fitchs alljährlicher Bericht von den Leiden einer untadeligen Heldin. Aus der Darstellung des großen Hafenbeckens auf dem Umschlag durfte man schließen, daß die diesmalige Valerie oder Angela oder Cecilie oder Denise die Gattin eines Marineoffiziers war. Er hatte das Buch nur aufgeschlagen, um Lavinias liebenswürdige Widmung auf dem Vorsatzpapier zu lesen.
    »Der Schweiß und die Furche« von Silas Weekley war eine siebenhundert Seiten lange
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