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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell
Autoren: Hans Gruhl
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Ruschke war das Wasser auf die
Mühle. Er war überzeugt, daß die Ärzte den falschen Weg gingen, wie ein
Heilpraktiker, der nur seine Methode für gut hält. Er verbohrte sich mehr und
mehr in seine Abneigung und seinen Haß. Zuletzt blieb nur die Operation. Er bot
alles auf, seine Schwester dazuzubringen, daß sie ihre Einwilligung versagte.
Aber sie folgte dem Rat der Ärzte. Das Kind starb während der Operation.
Ruschke hatte alles verloren, was er besaß. Und er hatte recht behalten.«
    Langsam begann ich zu verstehen, was
Ruschke auf diese Bahn getrieben hatte. Und Nogees war gut. Er sah mehr, als
nur Tatbestände und Indizien.
    Er sprach weiter.
    »Ruschke verbohrte sich in
Rachegedanken, die mehr und mehr von ihm Besitz ergriffen und die niemand in ihm
vermutete. Keine Macht der Welt hätte ihn überzeugen können, daß die Operateure
an dem unglücklichen Ausgang unschuldig waren. Er nahm sich vor, seine Nichte
an ihnen zu rächen und gleichzeitig Rache zu nehmen an dem Stand, den er haßte,
weil er nicht dazugehören konnte.«
    Nogees trank sein Glas in kleinen
Schlucken aus. Wir rührten uns nicht und warteten, bis er fortfuhr.
    »Ruschke wußte sehr wohl, daß kaum
jemand hinter das Motiv dieser scheinbar zusammenhanglosen Morde kommen konnte.
Deswegen nahm er auch das Krankenblatt aus dem Archiv, um jeden Hinweis auf
einen Beweggrund auszuschalten. Nur an den Durchschlag des Operationsberichtes
dachte er nicht. Alles andere ging ganz einfach. Er hatte Zeit, und er konnte
sich seine Gelegenheiten aussuchen. Er nahm die Skalpelle aus dem Instrumentenschrank.
Niemand fiel dabei weniger auf als er. Er ging zu Wildbolz in die Wohnung und
erstach ihn am Tag, bevor sie ankamen. Möchte wissen, was er gedacht hat, als
er diese Wohnung wieder betrat. Er ermordete Stickhahn und verbarg sich
zwischen den Doppeltüren, wie ich vermutete. Als Sie wieder im Zimmer waren,
ging er fort, und niemand sah ihn. Der Verdacht fiel auf Steimle, aber er wurde
das nächste Opfer.«
    Nogees dankte, als Evelyn ihm
nachschenkte. Seine Zigarette glühte ohne Unterbrechung.
    »Das war Ruschkes Glanzleistung. Er war
auf dem Wege zu Steimles Zimmer. Er sah ihn im Aufzug ankommen und stieg zu.
Steimle wollte aussteigen, aber Ruschke umklammerte ihn von hinten und erstach
ihn. Steimle war tot, ehe er den Boden berührte. Ruschke ließ ihn in die Ecke
der Kabine fallen, stieg auf dem Boden aus, warf den Handschuh weg und verließ
das Haus durch den Hinterausgang. Wieder sah ihn kein Mensch. Bei aller
Kaltblütigkeit hatte er noch unverschämtes Glück.«
    Ich richtete mich auf und nahm die
Beine von der Couch.
    »Niemals hätte ich das für möglich
gehalten«, sagte ich. »Ich zerbreche mir den Kopf über den Mörder, und die
ganze Zeit ist er um mich rum. Verdächtige diesen und jenen, wittere überall
Spuren, erzähle ihm treuherzig alles — und merke nichts.«
    »Trösten Sie sich«, sagte der
Kommissar. »Sie haben den richtigen Dreh eher gefunden als ich. Und den Fehler,
den er gemacht hat, habe ich auch übersehen.«
    Wir reckten die Hälse.
    »Was war es?« fragte Evelyn.
    »Das Abendblatt«, sagte Nogees.
»Jedesmal, wenn ich mit ihm sprach, sah ich es in seiner Tasche. Er ließ keine
Nummer aus. Aber er tat so, als wüßte er nichts von Wildbolz’ Tod. Und im
Abendblatt war ein dicker Bericht gewesen.«
    »Na klar«, sagte ich.
    »Na klar«, sagte Nogees. »Was vor der
Nase liegt, sieht man zu allerletzt. Das war eben sein Vorteil. Niemand dachte
an ihn. Das tote Kind war vergessen. In einer chirurgischen Klinik sterben
täglich Leute. Lahringer, Melchior, Bonnet — alle kamen sie in Betracht. Keiner
von ihnen war es.«
    Ich schlug mich vor die Stirn.
    »Und ich erzähle ihm...«
    »Ja. Als ich von Frau Weber zurückkam
und der Diensthabende mir von dem verschwundenen Skalpell erzählte, da wüßte
ich, daß Sie der nächste sein sollten. Denn er mußte verhindern, daß Sie mir
von Ihrer Idee erzählten. Sie war das einzige, was ihm gefährlich werden
konnte.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Sie haben ein seltenes Glück gehabt.
Er muß das Messer sofort nach Ihrem Gespräch genommen haben. Am Mittwoch hatte
er Nachtdienst. Am Donnerstag war er hier — da saßen Sie mit mir zusammen im
Hofbräukeller. Gestern kam er noch mal. Er hörte, daß Sie Besuch hatten, und
kehrte wieder um.«
    »Schönen Dank, Evelyn«, sagte ich.
    »Ich habe ihn doch gehört.« Sie
schauderte.
    Ich nickte.
    »Heute kam er zum letztenmal«,
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