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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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dieser Tageszeit kann man sogar die plötzlich entweichenden Darmwinde der alten Leute aus den Nachbarhäusern hören. Und selbst wenn sie, eine schlanke, kultivierte Erscheinung, ganz leise zu den Nachbarn geeilt sein sollte, wo ist dann die Tasche? Die Nachbarn brechen die Tür auf, und sie soll dann mit dem Gemüse in die Wohnung gerannt sein? Oder haben die Nachbarn die Tasche später in die Wohnung gebracht, während sie neben dem Leichnam ihres Mannes Klagelaute von sich gab? All dies ist gegen die menschliche Natur. Doch dann fragt Mariamma: «Was schlägst du vor, Mariammo?»
    Mariamma schlägt gar nichts vor, sondern denkt nach. Sie ist weit entfernt von der Stadt aufgewachsen, inmitten von Kautschukbäumen auf einem gewaltigen Hügel. Und sie kann sich noch an Zeiten erinnern, als die Männer stark waren und sich wie verführerische Tiere bewegten. Wenn damals ein Mann jung und unter mysteriösen Umständen starb, sah man sich seineFrau sehr genau an. Heute ist alles anders. Wenn jemand früh stirbt, wundert sich niemand mehr, und für solch einen Tod gibt es sogar einen bestimmten Namen.
    Eigentlich will sie auf die Frage hinaus, die sie sich immer wieder stellt, nämlich, ob Ousep Chacko auch irgendwann so stirbt – eines natürlichen Todes. An einem ruhigen Sonntag würde sie aus der Kirche zurückkommen und an der Wohnungstür klingeln. Er würde ihr nicht aufmachen, und die Tür würde aufgebrochen, hoffentlich, ohne sie ganz kaputt zu machen, was möglich wäre, wenn man das Schloss herausbräche. Sie stellt sich vor, wie Ousep tot auf dem Boden liegt, mit aufgerissenen Augen. Sie muss an die Reklame für Sonnenblumenöl denken – ‹Das Cholesterin eines Gentlemans liegt in der Hand seiner Frau.› Doch Ousep Chacko ist keiner, den Öl umbringen kann. Er isst nicht viel, raucht aber umso mehr, was sein Blut verdickt oder seine Arterien dünner macht, sie verwechselt das immer. Ein Männerherz kann auch aufhören zu schlagen, wenn man ihm einen tüchtigen Schrecken einjagt. Doch sie weiß, dass das ländliche Herz dieses Mannes nicht so leicht kleinzukriegen ist. Ihr Mann ist aus roter Erde und Malabarluft gemacht.
    Sie geht ins Schlafzimmer und inspiziert Ouseps Schreibtischstuhl. Sie setzt sich darauf und spürt, wie die Stuhlbeine unter ihrem Körper nachgeben. Das ist ihre einzige Hoffnung, aber sie muss Geduld haben, und die hat sie auch.
    Sie reißt sich aus ihren Gedanken und stellt sich die beunruhigende Frage: «Mariammo, was denkst du da bloß?» Sie ist ganz eindeutig keine Mörderin, nur eine Hausfrau, die ein paar übertriebene Vorstellungen von sich selbst hat. Zwar rezensiert sie unter dem Pseudonym «Gabriel» für eine Frauenzeitschrift Bücher, doch ein schlechter Mensch ist sie nicht. Außerdem ist es wichtig, dass Ousep vorerst weiterlebt. Wenn nämlich jemand Unnis Tod aufklären kann, dann einzig und allein Ousep. Er hatetwas Bedeutendes gefunden, das merkt sie genau. Doch aus irgendeinem Grund weiht er sie nicht ein.
    Die Klingel lässt sie hochschrecken. Voller Überraschung sieht sie sechs Frauen aus den anderen Wohnblocks wie Pinguine in einer Reihe vor ihrer Tür stehen. Sie erklären, die anderen Balkone seien voll, ob sie zu ihr kommen dürften? Dass sie bei Mariamma klingeln, zeigt den Grad ihrer Verzweiflung, denn zu ihr in die Wohnung kommt schon lange niemand mehr. Aus reiner Gewohnheit fragt sie sich, ob die Frauen vielleicht verhexte Münzen und Nägel und Nadeln in ihren Saris versteckt haben, die sie in ihrer Wohnung platzieren wollen, um Unglück über ihre Familie zu bringen, so wie einst Ouseps Verwandte. Doch der Gedanke ist lächerlich. Keiner ist mehr neidisch auf die Chackos.
    Draußen wird das Murmeln lauter, und die Frauen vor der Tür werden davon ganz aufgeregt. Sie blicken auf die Treppe zu ihrer Rechten, die zu der trostlosen Dachterrassentür führt, aber nach dem, was Unni getan hat, bleibt diese Tür jetzt Tag und Nacht abgeschlossen. Mariamma bittet die Frauen herein. Sie stürmen zum Balkon, um nachzusehen, was passiert ist. Mariamma ist nicht mehr allein. Wie die anderen Frauen auf den Balkonen ringsum steht sie mitten in dem Gedränge auf ihrem Balkon. Mariamma hat endlich Gäste.
    Jetzt sehen alle die Tochter des Arztes. «Bindu oder so ähnlich», sagt eine Frau. Das Mädchen geht die schmale Gasse hinunter zu ihrem Haus. Sie trägt eine blaue Schürze, und ihre Haare sind mit einem roten Band zusammengebunden. Neben ihr geht ein Mann, der
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