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Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Titel: Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
Autoren: Megan Whalen Turner
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Kapitel 1

    Ich wusste nicht, wie lange ich schon im Gefängnis des Königs saß. Die Tage waren alle gleich, abgesehen davon, dass ich mit jedem schmutziger wurde als zuvor. Jeden Morgen wandelte sich das Licht in der Zelle von dem flackernden Orange der Lampe an der Wand vor meiner Tür zu dem matten, aber gleichmäßigen Leuchten der Sonne, die in den Innenhof des Gefängnisses schien. Am Abend, wenn das Sonnenlicht verblasste, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass ich einen Tag näher daran war freizukommen. Um mir die Zeit zu vertreiben, konzentrierte ich mich auf angenehme Erinnerungen, ordnete sie der Reihe nach und ließ sie mir genau durch den Kopf gehen. Ich durchdachte immer wieder die Pläne, die mir so geradlinig erschienen waren, bevor ich im Gefängnis gelandet war, und ich schwor mir und jedem Gott, den ich kannte, dass ich, falls ich lebendig hier herauskam, nie, nie, nie wieder irgendwelche Risiken eingehen würde, die so abgrundtief töricht waren.
    Ich war dünner, als ich es bei meiner Verhaftung gewesen war. Der breite Eisenring um meine Taille saß jetzt locker, aber nicht so lose, dass er über meine Hüftknochen gepasst hätte. Wenige Häftlinge trugen in ihren Zellen Ketten, nur die, die der König ganz besonders verabscheute: Grafen oder Herzöge oder der Finanzminister, nachdem er dem König mitgeteilt hatte, dass kein Geld zum Ausgeben mehr da sei. Ich war sicher nichts von alledem, aber man kann wohl mit Gewissheit sagen, dass der König mich verabscheute. Auch wenn er sich weder an meinen Namen noch daran erinnerte, dass ich so gewöhnlich wie Dreck war, wollte er nicht, dass ich entkam. Also trug ich neben dem eisernen Gürtel um die Taille Ketten an den Knöcheln und dazu ein Paar völlig nutzloser Handschellen um die Handgelenke. Am Anfang hatte ich die Ringe von den Handgelenken abgezogen, aber da ich sie manchmal schnell wieder darüberschieben musste, war die Haut bald wundgerieben gewesen. Nach einer Weile war es weniger schmerzhaft gewesen, die Handschellen einfach anzulassen. Um mich von meinen Tagträumen abzulenken, übte ich, mich in der Zelle zu bewegen, ohne zu klirren.
    Die Kette war lang genug, mir zu gestatten, im Bogen von einer vorderen Ecke der Zelle bis in die Mitte des Raums und zurück in die hintere Ecke zu gehen. Dort hinten befand sich mein Bett: eine Bank aus Stein, auf der ein dünner Sack voller Sägespäne lag. Daneben stand der Nachttopf. Sonst gab es nichts in der Zelle, nur mich, die Kette und zwei Mal am Tag etwas zu essen.
    Die Zellentür war ein Gittertor. Die Wachen schauten zu mir herein, wenn sie auf ihren Runden vorbeikamen, und zollten so meinem Ruf Tribut. Im Zuge meiner hochfliegenden Pläne hatte ich in jeder Schenke der Stadt schamlos mit meinem Können geprahlt. Ich hatte gewollt, dass jeder erfuhr, dass ich der beste Dieb seit der Schöpfung der sterblichen Menschen war, und ich muss meinem Ziel sehr nahegekommen sein. Riesige Menschenmengen waren zu meinem Prozess zusammengeströmt. Nach meiner Festnahme waren die meisten Gefängniswärter aufgetaucht, um mich zu sehen, und ich blieb ständig an mein Bett gekettet, während anderen Gefangenen dann und wann die Freiheit und der Sonnenschein des Gefängnishofes gewährt wurden.
    Es gab einen Wärter, der mich immer dann zu ertappen schien, wenn ich, den Kopf in die Hände gestützt, dasaß, und er lachte stets.
    »Was?«, pflegte er zu sagen. »Bist du immer noch nicht entkommen?«
    Jedes Mal, wenn er lachte, schleuderte ich ihm Beleidigungen entgegen. Das war nicht diplomatisch, aber wie immer konnte ich keine Beleidigung zurückhalten, die nun einmal ans Tageslicht wollte. Was ich auch sagte, der Wärter lachte nur noch mehr.
    Ich fror so sehr, dass es schmerzte. Ich war gegen Anfang des Frühlings verhaftet und aus der Taverne »Zur Schattigen Eiche« herausgeschleift worden. Außerhalb der Gefängnismauern musste die Sommerhitze die Stadt bereits ausgedörrt und alle zum Nachmittagsschlaf ins Haus getrieben haben, aber die Gefängniszellen empfingen kein direktes Sonnenlicht und waren so feucht und kalt wie zum Zeitpunkt meiner Ankunft hier. Ich hatte Stunden damit verbracht, vom Sonnenschein zu träumen, davon, wie er die Mauern der Stadt durchtränkte und dafür sorgte, dass die gelben Steine sich noch warm anfühlten, wenn man sich, Stunden nachdem der Tag geendet hatte, darauf stützte, davon, wie er Wasserrinnsale und die seltenen Trankopfer, die den Göttern noch vor den
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