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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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gehen sehen, weil die begünstigten Mandanten, die nie etwas anderes als Löcher in den Taschen gehabt hatten, völlig den Kopf verloren, wenn sie sich von einem Tag auf den andern reich fühlten, zu protzen anfingen und entfernte Verwandte, vergessene Freunde und Gauner wie Fliegen anlockten, die sie noch um den letzten müden Heller zu erleichtern versuchten. Die Entschädigung an die Pachecos war alles andere als üppig, aber, auf mexikanische Verhältnisse übertragen, genug, um die Familie aus dem Elend zu holen. Auf Willies Rat hin investierte die Großmutter die Hälfte des Geldes in den Aufbau des Lebensmittelladens und legte die andere Hälfte fernab von Bauernfängern und Bittstellern in denVereinigten Staaten an, auf einem Konto, das auf die Namen von Jovitos Kindern lief. Seit dem Tod des Vaters war über ein Jahrzehnt vergangen, und eins nach dem anderen hatten sich die Kinder, mit Ausnahme des jüngsten Sohnes, von der Mutter und der Großmutter verabschiedet und ihr Heimatdorf verlassen, um in Kalifornien zu arbeiten. Jeder von ihnen hatte einen Zettel mit Willies Namen und Telefonnummer, damit er ihm seinen Anteil an dem angelegten Geld auszahlte, und so hatten sie bessere Startchancen gehabt als die meisten illegalen Einwanderer, die mit nichts als Hunger und Träumen ins Land kommen. Was Willie sich gedacht hatte, als er die Kinder Jahre zuvor nach Disneyland einlud, war eingetreten.
    Dank Socorro und Magdalena Pacheco bekamen wir die schönste Unterkunft der Thermen, ein blitzblankes kleines Häuschen in Lehmbauweise mit hübschem Ziegeldach, durch und durch mexikanisch hergerichtet, mit einer kleinen Küche, einem Hof nach hinten und einem Whirlpool unter freiem Himmel. Dort verkrochen wir uns, nachdem wir Vorräte für drei Tage eingekauft hatten. Es war lange her, daß Willie und ich allein und mit Zeit nur für uns gewesen waren, und die ersten Stunden vergeudeten wir in erfundener Geschäftigkeit. Obwohl sich mit dem, was in der Küche vorhanden war, kaum ein Frühstück zubereiten ließ, machte sich Willie daran, einen Ochsenschwanz zu kochen, nach einem dieser Rezepte für Geduldige aus der Alten Welt, für die man mehrere Töpfe benötigt. Der kräftige Bratengeruch erfüllte die Luft, verscheuchte die Vögel und lockte die Kojoten an. Das Fleisch mußte über Nacht im Kühlschrank stehen, damit man am nächsten Tag das festgewordene Fett abschöpfen konnte, deshalb aßen wir, als es dunkel wurde, aneinandergekuschelt in einer Hängematte im Hof Brot und Käse und tranken Wein dazu, während die Kojotenmeute sich auf der anderen Seite der Mauer, die unsere kleine Behausung schützte, die Lefzen leckte.

Ein Ort der Stille
    Die Wüstennacht ist so unauslotbar tief wie das Meer. Die Sterne, unendlich viele Sterne, funkelten am schwarzen, mondlosen Himmel, und von der kühler werdenden Erde stieg wie Raubtieratem ein dichter Dunst auf. Wir entzündeten drei dicke Kerzen, deren Zeremonienschein sich in unserem Wasserbecken spiegelte. Nach und nach löste sich die Anspannung, die wir durch das viele Ackern und Schuften angesammelt hatten, in der Stille auf. Neben mir steht immer, die Peitsche in der Hand, ein unsichtbares und unbarmherziges Hutzelmännchen, das an mir herummäkelt und mir Befehle erteilt: »Los, aufstehen! Es ist schon sechs Uhr, und du mußt dir die Haare waschen und mit dem Hund raus. Kein Brot essen! Oder glaubst du etwa, du nimmst von Zauberhand ab? Denk dran, daß dein Vater ein Fettwanst war. Du mußt deine Rede umschreiben, sie strotzt vor Klischees, und dein Romänchen ist das Letzte, du schreibst jetzt seit einem Vierteljahrhundert und hast nichts gelernt.« Und so weiter und so fort, immer dieselbe Leier. Du hast immer gesagt, ich solle lernen, mich ein bißchen zu mögen, ich würde mit meinem ärgsten Feind nicht so umspringen wie mit mir selbst. »Was würdest du tun, Mama, wenn einer zu dir nach Haus käme und würde so mit dir reden?« wolltest du von mir wissen. Ihm sagen, er soll sich zum Teufel scheren, und ihn mit dem Besen hinausscheuchen, selbstverständlich, aber bei dem Hutzelmännchen klappt das nicht immer, denn es ist tückisch und gewieft. Nur gut, daß es diesmal in der Toulouse-Lautrec-Absteige hängengeblieben war und mir nicht noch in unserem Häuschen auf die Nerven ging.
    Eine Stunde, vielleicht zwei verbrachten wir still. Ich weiß nicht, was in Willies Kopf und Herz in dieser Zeit vorging,ich jedenfalls stellte mir vor, wie ich mich in dieser
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