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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel
Autoren: Andrea Camilleri
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Eins

    In tiefer Nacht wurde er durch großes Gezeter und Gejammer, das aus dem Eßzimmer drang, geweckt. Aber es war ganz komisch, denn sowohl das Gezeter als auch das Gejammer klangen erstickt, wie wenn die, die da herumlärmten, nicht wollten, daß man ihren Lärm hörte.
    Michilino, ein kleiner Junge von knapp sechs, allerdings schon
    erfahren, sah sofort von der Bettstelle, wo er lag, zum großen Bett seines Vaters und seiner Mutter hinüber. Aber sie waren nicht da, sie waren aufgestanden, daher mußten sie es sein, die den Lärm machten: Als er jetzt nämlich seine Ohren spitzte, hörte er deutlich, daß es seine Mamà war, die das unverständliche Gezeter und Geheul von sich gab, wohingegen sein Papà manchmal halblaut dazwischen sagte: »Basta, Ernestì! Basta, du weckst ja den ganzen Ort auf! Denk dran, Ernestì, wenn ich wütend werde, dann kracht's!«
    Michilino hatte sich halb aufgerichtet, um zu sehen, wie spät es war. Der Wecker stand auf dem Nachtkasten seiner Mutter – das war der, der näher an seinem Bettplatz stand –, neben einer Statue der Jungfrau Maria, vor der aus Verehrung immer ein Lichtlein brannte. Zahlen konnte er schon lesen, denn das hatte ihm Cousine Marietta beigebracht, die sechzehn war und, obschon sie wie eine fertige Frau aussah, oft mit Michilino beisammen war, mit ihm redete und manchmal mit ihm spielte, ganz so, als wäre sie selber noch ein kleines Mädchen. Es war vier Uhr morgens. Er betrachtete das große Bett genauer, die Bettücher waren zerwühlt und verknüllt, die Kopfkissen auf der Seite der Mutter lagen schief, was ein sicheres Zeichen dafür war, daß Papà und Mamà sich zuerst hingelegt hatten, dann aber wieder aufgestanden waren. Was konnte also geschehen sein? Neugier überkam ihn, er kletterte aus seiner Bettstelle, schlich den Korridor entlang und kam zur Eßzimmertür, die einen Spalt offenstand, und durch den fiel der Schein der Lampe. An diesen Spalt schob er das Gesicht, prallte aber auf der Stelle zurück.

    Ein Kind, das seinen Heiland liebet, nichts um Erwachsener Reden giebet.

    Und er, der den Herrn Jesus doch liebte, hatte immer befolgt, was Mamà ihm wieder und wieder eingebleut hatte, nein, er hatte nie die Gespräche der Erwachsenen belauscht. Und manchmal, nachts, wenn er von einem Geräusch im großen Bett und von Mamàs Stimme aufgeweckt wurde, die winselte und »ah, ah« sagte, hatte er sich nicht gemuckst und die Augen nicht aufgemacht, um hinüberzuschielen. Doch diesmal überlegte er sich die Sache genau und sagte sich: Jetzt ist tiefe Nacht, und wahrscheinlich schläft der Herr Jesus doch und wird nichts von dieser einmaligen Enttäuschung mitbekommen, die er, Michilino, ihm bereitete. Wieder schob er das Gesicht an den Spalt und spähte vorsichtig ins Zimmer. Papà saß in Unterhosen auf einem Stuhl, hatte einen Ellbogen auf dem Eßtisch, sein Gesicht war rot und finster in die Hand gestützt, während Mamà im Nachthemd auf und ab durchs ganze Zimmer ging, sich von Zeit zu Zeit verzweifelt die Haare raufte und fest auf ihre Brüste schlug. Aber da war auch noch eine dritte Person im Zimmer, an die Michilino gar nicht gedacht hatte. Das war die Magd Gersumina, eine Sechzehnjährige, die Mamà als Dienstmädchen zu sich genommen hatte und die in einer Kammer neben der Küche schlief. Gersumina hatte viel Ähnlichkeit mit Cousine Marietta, der Unterschied war nur: Die Magd hatte so große Brüste, daß man denken konnte, es wären zwei Wassermelonen, wie sie im Sommer feilgeboten wurden und die aufgespalten wie die italienische Flagge aussehen: grün, weiß und rot. Auch Gersumina war im Nachthemd und saß auf einem Stuhl in der Nähe des Herdes. Sie weinte mit gesenktem Kopf. Hin und wieder befahl ihr Mamà, wenn sie an ihr vorbeiging: »Sieh mich an, du Flittchen!«
      Und kaum gehorchte die Arme, versetzte Mamà ihr auch schon eine gewaltige Backpfeife. Wenn Gersumina dann versuchte, sich mit einem Arm zu schützen, packte Mamà sie bei den Haaren und zerrte daran: »Ich will mich an dir austoben, du Schlampe, nachdem mein Mann sich bei dir auch ausgetobt hat!«
      Als Michilino eine Weile zugeschaut hatte, entfuhr ihm ein Niesen. Die Bodenfliesen waren kalt, und er war barfuß. Er versuchte, es zurückzuhalten, doch am Ende schaffte er es nicht. Das Niesen war wie ein magischer Zauber. Alle waren auf der Stelle wie gelähmt und erstarrten zu Statuen. Als erste faßte Mamà sich wieder und rief: »Michilino!«
      Und stürzte
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