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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel
Autoren: Andrea Camilleri
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Bluse ausgezogen hatte und nun im Büstenhalter dastand. Danach, als sie den Rock herunterstreifte, redete sie mit ihm.
    »Ziehst du dich denn nicht aus?«
    »Mamà zieht mich immer aus.«
    »Soll ich dich ausziehen?«
    »Ja.«
      Sobald Marietta in Schlüpfer und Büstenhalter war, setzte sie sich auf den Bettrand und sagte: »Komm her.«
      Michilino kam zu ihr, und die Cousine begann, ihn auszuziehen. Nicht daß Mariettas Hände ganz anders gewesen wären als die seiner Mutter, sie hatten sogar ganz genau die gleiche Feinheit. Aber wie kam es, daß es viel schöner war, sich von der Cousine ausziehen zu lassen? Als Marietta ihm die Unterhosen auszog, warf sie unvermittelt und völlig verblüfft den Kopf nach hinten.
    »Oioioi!« rief sie aus.
    »Was ist denn?«
    »Nichts, gar nichts.«
    Wie konnte es sein, daß ein kleiner Junge von sechs Jahren eine Rute hatte wie ein ausgewachsener Mann? Genau ein Jahr zuvor hatte Marietta nämlich das Maß eines jungen Mannes kennengelernt, das war, als sie sich mit Balduzzo in einem Strohhaufen versteckt hatte und Balduzzo, der eine Woche später in den Krieg sollte, angefangen hatte, sie heftig auf den Mund, auf die Brüste, auf den Bauch zu küssen, und sich dann aufgeknöpft und Mariettas Hand beigebracht hatte, was sie tun sollte. Das war dann noch einmal vorgekommen, bevor Balduzzo abreiste. Und dann hatte Marietta auch immer wieder kleine nackte Jungen auf den Feldern spielen gesehen, aber noch keinen, der diese Ausmaße hatte. Als sie Michilino das Nachthemd übergezogen hatte, sagte sie: »Ist besser, wenn du an der Wand schläfst.«
    »Wieso?«
      »Weil ich Angst habe, du fällst aus dem Bett, wenn du dich im Schlaf umdrehst.«
      Als sie nebeneinanderlagen, beteten sie. Dann machte Marietta das Licht aus, und sie wünschten sich eine gute Nacht. Aber es war gar nicht so leicht einzuschlafen, weder für Michilino noch für Marietta. Michilino spürte die Wärme von Mariettas Körper, die ganz anders war als die seiner Mutter, wenn sie zusammen schliefen: ganz anders, denn während Mamàs Wärme ihm den Schlaf brachte, vertrieb Mariettas Wärme seinen Schlaf. Und bei Marietta war es so, daß ihr, nachdem sie Michilino nackt gesehen hatte, Balduzzo im Strohhaufen wieder in Erinnerung kam, der ihre Hand nahm und ihr leise ins Ohr flüsterte, was sie tun sollte. Ihr entfuhr ein unendlich langer Seufzer.
    »Was hast du?« fragte der Kleine sofort.
    »Ich kann nicht schlafen.«
    »Ich auch nicht. Wollen wir miteinander reden?«
      »Ja«, sagte die Cousine, »aber reden wir ganz leise, sonst hören uns meine Eltern.«
      Sie legten sich auf die Seite, und zwar so dicht, daß Michilino den Atem des jungen Mädchens in seinem Gesicht spürte.
    »Warte, ich zieh mir den Büstenhalter aus, der drückt so.«
      Sie setzte sich halb auf, nestelte ein bißchen herum und legte sich dann wieder hin wie zuvor.
    »Worüber willst du reden?«
    »Erzähl mir, was gestern nacht bei mir zu Hause passiert ist.«
      Marietta fing wieder an zu lachen, wie sie es schon am Vormittag getan hatte, als sie auf der Straße waren. Nur, daß sie jetzt nicht so offen lachen konnte, und so steckte sie ihr Gesicht ins Kissen, damit man nichts hören konnte. Nachdem sie sich ausgeschüttet hatte vor Lachen, fing sie an zu erzählen.
      »Vergangene Nacht wachte Tante Ernestina, deine Mutter, auf und sah, daß ihr Mann, Onkel Giugiù, dein Vater, nicht mehr im Bett lag. Sie dachte, er wäre mal austreten und wartete. Doch als er nicht zurückkam, stand sie nach einer Weile auf und ging ihn suchen. Sie suchte und suchte, konnte ihn aber nicht finden. Plötzlich hörte sie die Stimme ihres Mannes aus der Kammer der Magd. Sie öffnete die Tür und sah, was sie sah.«
      Und hier wurde Marietta wieder von einem Lachanfall gepackt, während Michilino sie an der Schulter schüttelte und flehte, sie möge doch weitererzählen.
    »Und was hatte sie gesehen? Was?«
      »Sie hatte gesehen, daß Onkel Giugiù und Gersumina unanständige Dinge taten.«
    »Was sagst du denn da?«
    »Du weißt doch wohl, was unanständig ist?«
      »Ja. Unanständig ist einer, wenn er schmutzige Wörter sagt, wenn er wie ein Karrenkutscher oder ein Hafenarbeiter flucht, solche Leute eben. Ich bin auch unanständig.«
    »Du?«
      »Jawohl, meine Dame. Mamà sagt das immer, wenn ich mit offenem Mund esse, wenn ich in der Nase bohre … Sind das nicht unanständige Dinge?«
    »Das wohl auch, aber
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