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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel
Autoren: Andrea Camilleri
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zur Tür, gefolgt von Papà, der vor sich hinknurrte: »Dieser Junge geht mir auf die Eier, aber ganz gewaltig!«
      Mamà packte ihn an einem Arm und verpaßte ihm zwei Backpfeifen von der Art, wie Gersumina sie gerade abbekommen hatte. Papà dagegen versetzte ihm einen deftigen Tritt in den Arsch.
    »Geh sofort wieder ins Bett und schlaf!«
      Doch es gelang ihm nicht einzuschlafen. Dann dachte er, das beste wäre, den Kopf unters Kissen zu stecken, die Ohren mit den Händen zuzuhalten und zu weinen. So tröstete ihn sein eigenes Weinen ganz allmählich, und er schlief ein.

    Am nächsten Morgen wurde er von seiner Mutter geweckt, die noch im Nachthemd war und gerötete Augen hatte. Michilino war zwar noch todmüde, aber er gehorchte. Mamà erklärte ihm, daß Papà für ein paar Tage verreist sei, daß die Magd Gersumina nicht mehr bei ihnen arbeite, daß sie selber eine Woche bei ihrem Vater und ihrer Mutter verbringen würde, also bei Nonno Aitano und Nonna Maddalena.
      Plötzlich sah sich Michilino allein im Haus und ganz verlassen. Und er bekam Angst.
    »Und ich?« fragte er mit bebender Stimme.
      »Während ich bei den Großeltern bin, gehst du zu Onkel Stefano und schläfst bei ihm zu Haus. Ich hab deinen Koffer schon gepackt. In Kürze kommt Marietta und holt dich ab.«
      Das gefiel ihm gut. Nach einer halben Stunde stellte sich Marietta ein. Sie sah ernst aus, sehr ernst. So hatte Michilino sie noch nie gesehen. Sie umarmte Mamà, die gleich anfing zu heulen, während die Cousine sie tröstete und ihr mit den Händen auf den Rücken klopfte. Kaum waren sie aus dem Haus, veränderte Marietta ihren Gesichtsausdruck und war wieder die von immer, schön und lachend. Sie ging und hielt in der einen Hand das Köfferchen und in der anderen die Hand Michilinos. Manchmal blieb sie stehen, weil sie einen Lachkrampf bekam und sich die Augen abtrocknen mußte. Auch die Leute blieben stehen und sahen sie beide an. Und Leute gab es viele auf der Straße, denn es war Sonntag.
    »Warum lachst du so, Mariè?«
    »Nichts, nichts, geh schon weiter.«
      Endlich kamen sie zu Hause bei Marietta an. Tante Ciccina und Onkel Stefano, der Vater und die Mutter von Marietta, umarmten und küßten ihn.
      »Armer Kleiner!« seufzte Tante Ciccina und drückte ihn fest an sich.
      Und dann blickte sie böse zu ihrem Mann: »Ihr Männer, ihr seid doch alle zum Kotzen!«
      Michilino war's, als wäre er bei den Mamelucken, denn er verstand kein Wort.
      »Wir haben dir dein Zimmer gerichtet«, sagte Marietta. »Ich zeig's dir.«
    Es war überhaupt kein Zimmer, sondern ein Loch, in dem
    gerade mal eine Bettstelle, ein Nachttisch und ein Stuhl Platz hatten.
    »Muß ich alleine schlafen?« fragte Michilino erschreckt.
    »Ja«, sagte die Cousine.
    Michilino brach in verzweifeltes Weinen aus.
    »Nein! Nein!«
      »Was ist denn? Was ist los?« fragten Onkel Stefano und Tante Ciccina, während sie zu diesem Loch rannten.
    »Er will hier nicht schlafen«, erklärte Marietta.
    »Aber wo willst du dann schlafen?« fragte ihn Tante Ciccina.
      »Bei euch«, sagte Michilino und zog den Rotz hoch, der ihm aus der Nase lief.
    »Aber unser Zimmer ist doch klein«, erklärte Onkel Stefano.
      »Die Pritsche für dich geht da gar nicht rein«, setzte Tante Ciccina noch drauf.
      »Ich hab Angst, wenn ich alleine schlafe!« verkündete der Kleine unbeugsam.
      Onkel Stefano, Tante Cicinna und Marietta, also die gesamte Familie Ardigò, sahen sich an.
      »Dann schläfst du eben bei mir«, sagte Cousine Marietta abschließend.

    Die Familie Ardigò mit dem neu angekommenen Neffen Michilino ging, wie gewohnt, zur heiligen Messe um die Mittagsstunde. Bevor sie das Haus verließen, wandte sich Tante Ciccina mit einer inständigen Bitte an ihren Mann.
      »Stè, ganz sicher wird es da ein Arschloch geben, das uns wegen der Vorfälle heute nacht im Haus meiner Schwester Ernestina dumm kommen wird. Ich bitte dich inständig, tu so, als würdest du nichts, aber auch gar nichts sehen oder hören.«
    »Ich kann nicht so tun, als wäre ich taub oder blind«, erwiderte
    Onkel Stefano, der ein Mann von Prinzipien war, »wenn mir jemand dumm kommt, reiß ich ihm den Arsch auf.«
      Sie hörten die heilige Messe, Onkel Stefano ging acht mit Ricotta gefüllte Cannoli kaufen, und nichts geschah.
      Der Tag verging, und es kam die Stunde, da alle zu Bett wollten. In Mariettas Zimmer schaute Michilino der Cousine zu, die sich die
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