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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel
Autoren: Andrea Camilleri
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Nonno Filippo und Nonna Agatina auf dem Land war und seinen sechsten Geburtstag feierte. Nonno Aitano kam eigens herüber und schenkte ihm ein Tretmobil, Nonno Filippo einen Tretroller, Mamà hatte für ihn die fix und fertige Uniform eines »Sohnes der Wölfin« aufs Bett gelegt, die er am fünfzehnten September anziehen sollte, wenn er zum ersten Mal in die Grundschule gehen würde. Madonna! Wie schön die Uniform mit dem schwarzen Hemd war, bei dem der Kragen am Hals offenblieb, mit dem blauen Tüchlein und der Klemmspange mit Mussolinis Kopf drauf, mit der grau-grünen Hose, dem breiten schwarzen Gürtel, den grau-grünen Socken und dem schwarzen Fez! Und dann war da noch ein weiteres Medaillon, auf dem die Wölfin dargestellt war, die Romulus und Remus säugte.
    »Mamà, darf ich die Uniform anziehen?«
    »Nein, du machst sie nur schmutzig.«
      Die Enttäuschung wich der Freude über das große Geschenk, das Papà aus einer schmalen langen Schachtel hervorzog. Ein Balillakarabiner! Er sah haargenau so aus wie der der Soldaten, nur daß er ein ganz winziges bißchen kleiner war und nicht großartig schießen konnte. Papà warf ihm das Gewehr zu, Michilino vermochte es aufzufangen, doch fast wäre es auf dem Boden gelandet.
    »Das ist aber schwer!«
      »Ein Kilo und siebenhundertachtzig Gramm«, sagte Papà, der von Waffen etwas verstand. »Nachher erkläre ich dir, wie es funktioniert.«
      »Aber wozu soll ich denn jetzt wissen, wie es funktioniert«, entgegnete der Kleine, der unvermittelt traurig geworden war.
      »Ich darf den Karabiner doch sowieso noch nicht tragen. Ich bin ja erst ›Sohn der Wölfin‹, dann muß ich BalillaEntdeckerjunge werden, und dann, wenn ich zwölf bin, werde ich Karabinerträger.«
      »Ich spreche mit dem richtigen Mann an der richtigen Stelle«, sagte Papà, »und du trägst den Karabiner, auch wenn du erst ›Sohn der Wölfin‹ bist und auch wenn du nicht in Uniform zur Schule gehst.«
    Es war eine Zeit, in der Mamà nicht mehr die Lieder von Carlo
    Buti sang. Jetzt sang sie, was sie im Radio hörte, aber ganz besonders eines konnte sie singen, von morgens bis abends, ein Lied, das so anfing: Faccetta nera / bell'abbissina, Schwarzes Gesichtchen, schöne Abessinierin. Mamà mochte es gar nicht, wenn sie in einer Tasche von Papàs Jackett eine Postkarte fand, auf der eine schwarze Frau oder ein Mädchen mit nackten Brüsten abgebildet war. Auch in dem Heftchen Der Baliila Junge, das sein Papà ihm zusammen mit Mickymaus, Der Abenteurer und Der Kühne kaufte, tauchten diese schrecklichen wilden Bissinier auf, die einen Königskaiser mit Krone auf dem Kopf hatten, barfüßig und schuhlos, und zwar deshalb, weil er zwar ein König war, aber doch immer noch ein Wilder, der Halle Seelasse hieß. Michilino hatte beschlossen, daß der Augenblick gekommen war, die Indianer dranzugeben und Jagd auf Bissinier zu machen, und zwar mit dem Karabiner, den Papà ihm geschenkt hatte. Das Bajonett des Karabiners war, im Gegensatz zu den Gewehren der echten Soldaten, schon aufgepflanzt, und man konnte es hoch oder runter schieben, ganz wie man es brauchte. Die Klinge hatte eine Dreiecksform, und Michilino merkte sofort, daß die Spitze abgerundet und nicht scharf war. In den sechs Tagen, die er seine Ferien noch auf dem Land bei Nonno Filippo verbrachte, ging er in die Werkstatt, wo Nonno Filippo sein Werkzeug aufbewahrte, und mit einer Feile und einem Eisenstein schärfte er die Klinge und machte eine Spitze. Als sie nach Hause zurückkehrten, war die Waffe perfekt. Jetzt mußte er nur eine Möglichkeit finden zu üben. Er dachte hin und dachte her, und schließlich fiel ihm der Dachboden ein, wo lauter alter Krempel herumstand, der im Haus nicht mehr gebraucht wurde. Einmal, nach dem Mittagessen, als Papà und Mamà schliefen, nahm er den Schlüssel, kletterte eine Stiege hinauf, öffnete die Tür zum Dachboden und trat ein. Fast augenblicklich bemerkte er einen großen Bilderrahmen, in dem in natürlicher Größe das Foto von Onkel Pitrino stand, Papàs Bruder, der im Großen Krieg in der Uniform eines Leutnants gestorben war. Besseres konnte er nicht erhoffen. Er hob das Bajonett an, befestigte es, ging ein paar Schritte zurück und stürmte dann los. Das Glas, das die Fotografie schützte, zerbrach mit einem Knall in hundert Stücke, das Bajonett drang in Onkel Pitrinos Bauch und durchbohrte ihn von einem Ende zum anderen. Die Glasscherben hatten ihn nicht verletzt. In dem
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