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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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Hängematte Stück für Stück erst meines rostigen Helms, dann meiner schweren Eisenrüstung, meines kratzigen Kettenhemds, meines ledernen Harnischs, meiner nietenbeschlagenen Stiefel entledigte und schließlich der lächerlichen Waffen, mit denen ich mich und meine Familie nicht immer erfolgreich gegen die Launen des Schicksals verteidigt habe. Seit du tot bist, Paula, bin ich oft in deinem Wald unterwegs, es sind ruhige Spaziergänge, auf denen du mich begleitest und mich einlädst, in meine Seele zu horchen. Mir ist, als hätten sich in all den Jahren langsam meine verschlossenen Höhlen geöffnet und als dringe mit deiner Hilfe Licht in sie ein. Manchmal gebe ich mich in deinem Wald der Sehnsucht hin, und ein dumpfer Schmerz ergreift Besitz von mir, aber das währt nie lang, bald schon spüre ich wieder, wie du neben mir gehst, und das Rauschen der Sequoien und der Duft von Rosmarin und Lorbeer trösten mich. Ich stelle mir vor, daß es schön wäre, mit Willie an diesem verwunschenen Ort zu sterben, alt, aber ganz Herr über das eigene Leben und den eigenen Tod. Nebeneinander, Hand in Hand, würden wir auf der weichen Erde liegen und unseren Körper verlassen, um zu den Geistern zu gehen. Vielleicht werden Jennifer und du auf uns warten; wenn du gekommen bist, um Großmutter Hilda zu holen, hoffe ich doch, daß du nicht vergißt, dasselbe bei mir zu tun. Diese Spaziergänge tun mir sehr gut, danach fühle ich mich immer unbesiegbar und bin froh für die große Fülle, die mir das Leben beschert hat: für die Liebe, die Familie, meine Arbeit, daß ich gesund bin und so tief zufrieden. Was ich an diesem Abend in der Wüste erlebte, war anders: Ich empfand nicht die Kraft, die du mir in deinem Wald schenkst, sondern fühlte mich verlassen. Meine alten, harten Schuppenschichten hatten sich gelöst, und darunter kamen ein verletzliches Herz und Knochen ohne Mumm zum Vorschein.
    Gegen Mitternacht, als die Kerzen fast niedergebranntwaren, zogen wir uns aus und stiegen in das warme Wasser des Pools. Willie ist nicht mehr der, der mich vor Jahren auf den ersten Blick für sich eingenommen hat. Er strahlt noch immer Stärke aus, und sein Lächeln ist unverändert, aber er hat viel durchgemacht, seine Haut ist zu weiß, der Kopf geschoren, um die Kahlheit zu verbergen, das Blau seiner Augen ausgebleicht. Und mir stehen die Zeiten der Trauer und die Verluste der Vergangenheit ins Gesicht geschrieben, ich bin einen Fingerbreit geschrumpft, und der Körper dort im Wasser gehört einer reifen Frau, die nie eine Schönheit gewesen ist. Aber keiner von uns beiden urteilte oder verglich, wir erinnerten uns schon gar nicht mehr, wie wir in jungen Jahren gewesen waren: Wir haben diesen Zustand völliger Unsichtbarkeit erreicht, den das Zusammenleben verleiht. So viele Nächte haben wir beieinander geschlafen, daß wir schon nicht mehr fähig sind, einander zu sehen. Wie zwei Blinde berühren wir uns, riechen uns, spüren das Dasein des anderen, wie man die Luft um sich her spürt.
    Willie sagte zu mir, ich sei seine Seele, er habe mich erwartet und gesucht während der ersten fünfzig Jahre seines Lebens, sei sicher gewesen, mich zu finden, ehe sein Leben zu Ende wäre. Er ist keiner, der sich in hübschen Sätzen verausgabt, ist eher bärbeißig und kann Rührseligkeiten nicht leiden, deshalb fiel jedes Wort, das er mit Bedacht und langsam sagte, wie ein Regentropfen auf mich. Ich begriff, daß auch er in diese unergründliche Sphäre der geheimsten Hingabe eingetreten war, auch er hatte seine Rüstung abgelegt und öffnete sich. Ich sagte ihm mit dünnem Stimmchen, weil meine Brust wie zugeschnürt war, daß auch ich, ohne es zu wissen, blind nach ihm gesucht hatte. Ich habe in meinen Romanen die romantische Liebe beschrieben, eine Liebe, die alles gibt, die nichts zurückhält, weil ich immer wußte, daß sie möglich sein muß, wenn auch vielleicht für mich nie zu erreichen. Nur dir und deinem Bruder gegenüber habe ich diese rückhaltlose Hingabe in Ansätzenverspürt, als ihr noch sehr klein wart; nur euch gegenüber empfand ich, daß wir ein einziger Geist in nur mühsam getrennten Körpern waren. Heute empfinde ich das auch Willie gegenüber. Ich habe andere Männer geliebt, das weißt du, aber selbst in der kopflosesten Leidenschaft habe ich mir einen Fluchtweg offen gehalten. Von klein auf wollte ich auf eigenen Füßen stehen. In den Spielen dort unten im Keller meiner Großeltern, bei denen ich aufwuchs, war ich nie
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