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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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die Strände in einem asiatischen Urlauberparadies. Ich versicherte ihr, daß sie jederzeit bei uns würde wohnen können; da räumte sie ihr Haus aus und richtete es für den Verkauf her.
    Durch diese Vorbereitungen und unsere traurigen Wanderungen wurde ich von Tabras Weltuntergangsstimmung angesteckt. Wenn ich nach Hause kam, klammerte ich mich verstört an Willie. Vielleicht wäre es nicht die schlechtesteIdee, unsere Ersparnisse in Goldmünzen anzulegen, sie in den Rocksaum einzunähen und Vorkehrungen für die Flucht zu treffen. »Was redest du da von Goldmünzen?« fragte Willie verständnislos.

Die wiedervereinte Sippe
    Andreas Pubertät begann Knall auf Fall. Eines Abends im November erschien sie in der Küche, wo die Familie zusammensaß, trug Kontaktlinsen, Lippenstift, ein langes weißes Kleid, dazu silbrige Sandalen und Ohrringe von Tabra, ihre Garderobe für den Auftritt des Schulchors an Weihnachten. In dieser strahlenden Ipanema-Schönheit, sinnlich, ein wenig entrückt und geheimnisvoll, erkannten wir Andrea kaum wieder. Wir waren daran gewöhnt, daß sie verwaschene Jeans und klobige Schuhe trug und ein Buch in der Hand hielt. Die junge Frau, die schüchtern lächelnd in der Tür stand, hatten wir noch nie gesehen. Als Nico, über dessen zen-hafte Seelenruhe wir uns oft amüsierten, begriff, wen er vor sich hatte, verlor er die Fassung. Anstatt die Frau zu feiern, die gerade zur Tür hereinkam, mußten wir den Vater trösten, weil er das unbeholfene Mädchen verloren hatte, das bei ihm aufgewachsen war. Lori war als einzige in das Geheimnis der Verwandlung eingeweiht gewesen, weil Andrea das Kleid und die Schminksachen mit ihr zusammen gekauft hatte. Während wir anderen noch Bauklötze staunten, machte Lori eine Serie von Fotos, auf denen Andrea das lange, wie dunkler Honig schimmernde Haar mal offen, mal hochgesteckt trägt und sich zum Spaß übertrieben affektiert wie ein Mannequin in Pose wirft.
    Ihre Augen glänzten, und ihre Haut war gerötet, als wäre sie zu lang in der Sonne gewesen. Wir anderen waren novemberbleich. Seit Tagen schon hustete sie wie eine Schwindsüchtige. Nico wollte ein Foto nachstellen, das es von den beiden gab, damals war Andrea fünf gewesen und hatte wie eine Ente in der Mauser mit ihrer dicken Alchimistenbrille und meinem rosa Nachthemd, das sie über ihren normalen Sachen zu tragen pflegte, auf seinem Schoßgesessen. Als Nico sie anfaßte, merkte er, daß sie glühte. Lori steckte ihr ein Fieberthermometer in den Mund, und die kleine Familienfeier fand ein erbärmliches Ende, weil Andrea im Fieber glühte. In den folgenden Stunden war sie kaum noch ansprechbar. Nico und Lori versuchten, das Fieber mit kalten Bädern zu senken, mußten sie aber schließlich in Windeseile in die Notaufnahme des Bezirkskrankenhauses bringen, wo eine Lungenentzündung diagnostiziert wurde. Seit wer weiß wie vielen Tagen hatte sie die schon ausgebrütet, ohne ein Wort zu sagen, stoisch und introvertiert wie immer. »Die Brust tut mir weh, aber ich dachte, das ist das Wachstum«, erklärte sie.
    Sofort waren Celia und Sally zur Stelle, dann auch die anderen. Andrea mußte im Krankenhaus bleiben, umringt von ihrer Familie, die mit Adleraugen darüber wachte, daß ihr keins der Medikamente verabreicht würde, die für Porphyrie-Patienten auf der Schwarzen Liste stehen. Als ich sie in diesem Eisenbett sah, die Augen geschlossen, die Lider durchscheinend, von Minute zu Minute bleicher, schwer atmend und angeschlossen an Kabel und Schläuche, wurden meine schlimmsten Erinnerungen an deine Krankenhauszeit in Madrid wach. Genau wie Andrea warst du mit einer verschleppten Erkältung eingeliefert worden, aber was man Monate später entließ, warst nicht mehr du, sondern eine leblose Puppe, die nur noch auf einen sanften Tod hoffen durfte. Ruhig redete Nico auf mich ein, daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Du hattest über Tage schreckliche Bauchschmerzen gehabt, hattest alles, was du zu dir nahmst, wieder erbrochen, Symptome für einen Porphyrie-Schub, die Andrea nicht aufwies. Um eine mögliche Schlamperei oder einen Behandlungsfehler zu vermeiden, entschieden wir, daß Andrea keinen Moment allein sein sollte. In Madrid war uns das unmöglich gewesen, dort hatte sich die Krankenhausbürokratie deiner ohne Erklärung bemächtigt. Dein Mann und ich hatten Monate in einemKorridor gesessen, ohne zu wissen, was hinter der schweren Tür zur Intensivstation geschah.
    Andreas
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