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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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Krankenzimmer war voller Menschen. Nico und Lori, Celia und Sally, ich selbst saßen an ihrem Bett; später kamen noch Juliette, Sabrinas Mütter, die übrigen Verwandten und einige Freunde. Über fünfzehn Mobiltelefone standen wir miteinander in Verbindung, und ich rief außerdem jeden Tag bei Pía und bei meinen Eltern in Chile an, damit sie in der Ferne an uns dachten. Nico verteilte die Liste mit den verbotenen Medikamenten und den Instruktionen für Notfälle. Dein Geschenk, Paula, war, daß wir vorbereitet waren, man konnte uns nicht mehr überrumpeln. Unsere Hausärztin Cheri Forrester hatte die Station im Krankenhaus vorgewarnt, sich mit Geduld zu wappnen, da diese Patientin mit ihrer Sippe anrücken werde. Während die Krankenschwester eine Vene an Andreas Arm suchte, um ihr eine Kanüle zu legen, waren die Augen von elf ums Bett versammelten Leuten auf sie gerichtet. »Bitte keine religiösen Gesänge«, sagte sie. Wir lachten im Chor. »Sie sehen aus, als wären Sie dazu imstande«, fügte sie besorgt hinzu.
    Wir begannen unsere Tag- und Nachtwachen, nie waren weniger als zwei, meistens drei von uns im Krankenzimmer. Nur wenige gingen arbeiten in dieser Zeit; wer nicht gerade im Krankenhaus war, kümmerte sich um die übrigen Kinder und um die Hunde – Poncho, Mack und vor allem Olivia, die fix und fertig war, weil sich nicht mehr alles um sie drehte –, erledigte die Hausarbeit und brachte für das ganze Bataillon Essen ins Krankenhaus. Zwei Wochen hielt Lori wie selbstverständlich das Ruder in der Hand, das niemand ihr streitig zu machen versuchte, denn sie ist sowieso die Managerin der Familie. Ich weiß nicht, was wir ohne sie täten. Niemand besitzt soviel Durchsetzungsvermögen und Entschlossenheit wie sie. Sie ist in New York aufgewachsen und schreckt als einzige nicht zurück, wenn Ärzte oder Krankenschwestern sie einzuschüchtern versuchen,sie zehnseitige Formulare ausfüllen soll und auf Erklärungen pochen muß. In den letzten Jahren haben wir unsere Schwierigkeiten der Anfangszeit überwunden; Lori ist wirklich meine Tochter geworden, meine Vertraute, meine rechte Hand in der Stiftung, und ich sehe, wie sie nach und nach zur Matriarchin wird. Bald wird sie am Tisch der Schloßherrin den Vorsitz führen.
    Erst sah Andrea mit jedem Tag schlechter aus, weil man ihr viele der Antibiotika, die in einem solchen Fall eingesetzt werden, nicht verabreichen durfte, was die Lungenentzündung über die Maßen in die Länge zog, aber Dr. Forrester, die regelmäßig nach ihr sah, versicherte uns, die Urin- und Blutproben zeigten keine Anzeichen für einen Porphyrie-Schub. Für kurze Phasen wurde Andrea lebhaft, wenn ihre Geschwister, die griechischen Kinder oder Freundinnen aus der Schule zu Besuch kamen, aber den Rest der Zeit schlief sie und hustete, während ihr einer ihrer Eltern oder ihre Großmutter die Hand hielten. Schließlich, am zweiten Freitag, hatte sie das Fieber besiegt, sie erwachte mit klarem Blick und hatte Hunger.
    Die Familie war seit über zehn Jahre mit diesem für Scheidungsfamilien typischen Reigen kleiner Scheingefechte befaßt, einem ermüdenden Hüh und Hott. Das Verhältnis der beiden Elternpaare zueinander ist durch Höhen und Tiefen gegangen, es war schwierig, die Erziehung der gemeinsamen Kinder im Detail abzustimmen, aber je älter und unabhängiger die drei werden, desto weniger Zündstoff wird es geben, und eines Tages wird man sich gar nicht mehr sehen müssen. Lange dauert das nicht mehr. Trotz des Ärgers, den sie miteinander hatten, dürfen die beiden Paare einander gratulieren: Sie haben drei zufriedene und freundliche Kinder großgezogen, die sich zu benehmen wissen, gute Noten nach Hause bringen und bis jetzt noch nie in ernsthaften Schwierigkeiten gesteckt haben. Während derzwei Wochen von Andreas Lungenentzündung erlebte ich das Trugbild einer vereinten Familie, kam es mir vor, als lösten sich am Krankenbett des Mädchens alle Spannungen in Wohlgefallen auf. Aber solche Geschichten müssen ohne Happy-End bleiben. Jeder bemüht sich, so gut er kann, das ist alles.
    Andrea verließ das Krankenhaus fünf Kilo leichter, geschwächt und gurkenfarben, hatte aber die Infektion weitgehend überstanden. Noch zwei Wochen kurierte sie sich zu Hause aus, dann war sie rechtzeitig gesund, um im Chor zu singen. Vom Parkett aus sahen wir sie in der langen Reihe der engelsgleich singenden Mädchen auf die Bühne kommen. Das weiße Kleid schlotterte an ihr, und die Sandalen
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