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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Reaktionen beobachten. Ein bisschen so, als ob man ein Hölzchen in einen Ameisenhaufen steckt und beobachtet, wie die kleinen Tierchen aufgeregt durcheinanderrennen. Keine der Ameisen erkennt, was da wirklich geschehen ist, aber sie reagieren.
    Auch für die medizinische Forschung könnte dieser menschliche Ausschuss noch gute Dienste leisten, zur Erprobung neuer Medikamente zum Beispiel oder als Blut- und Organspender. Aber das ist ja in Deutschland verboten. Sehr schade. Man beraubt sich hier aus infantiler Humanitätsduselei einer großen Masse an Versuchskaninchen. Aber um sich das einzugestehen, braucht man ein Gehirn . Einen freien Geist ohne Beschränkungen!
    Nachdem man Magnus verhaftet hatte, langweilten mich die Kinder plötzlich. Keiner kam meinem wunderbaren Zögling auch nur annähernd nahe, und so sattelte ich um und begann, mich mit Erwachsenen zu beschäftigen. Nach der dreijährigen Weiterbildung in Einrichtungen des Maßregelvollzugs konnte auch ich als forensische Psychiaterin arbeiten. Schließlich landete ich als Therapeutin in Obersprung. Sie sagen, ich hätte das absichtlich so eingefädelt? Um Magnus nahe zu sein? Darauf antworte ich nicht. Ich könnte mich sonst selbst belasten.
    Hat jemand mein Lachen gehört? Nein? Gut so. Ich bin noch nicht fertig.
    Zu Beginn war es in Obersprung sehr interessant für mich. Viele neue Studienobjekte … An Magnus musste ich mich vorsichtig herantasten. Ich glaube, er wusste vom ersten Moment an, dass ich da war; auch wenn ich anfangs nicht mit ihm sprechen oder anderweitig Kontakt aufnehmen konnte. Wir wollten doch den Chef nicht auf uns aufmerksam machen!
    Doktor Doktor Frieder Solomon – ha! Er trägt seine zwei Doktortitel wie einen Schild vor sich her. Das zeugt nicht gerade von viel Selbstbewusstsein. Wahre Intelligenz bedarf keines Titels. Ahnung von Patienten und Therapie hat der Mann nicht im Geringsten, auch wenn er sich nach außen hin als der große Verwandlungskünstler hinstellt, der alle seine Patienten auf den rechten Weg zurückführt. Aus Böse mach Gut! Grotesk, die Umkehr auch nur bei einem einzigen Patienten für real zu halten! Solomon geht es nur ums Renommieren.
    Die Stellung als Klinikchef – lächerlich. Was besitzt er schon, der arme Wicht! Die Frau ist ihm weggelaufen und hat die Kinder mitgenommen. Seitdem schikaniert er seine Angestellten noch mehr. Irgendwo muss er ja seinen Frust abbauen, nicht? Ich muss noch immer lachen, wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, wie er mit seinem stets frisch gestärkten, blütenweißen Kittel durch die Gänge stolziert! Nie ist Doktor Doktor Solomon quer über den Platz gelaufen, um den Weg zum Therapiegebäude oder zu den Patienten abzukürzen. Immer schön außen herum auf den Gehwegplatten. Sich bloß nicht die gewienerten Schuhe schmutzig machen. Und wehe, der Hausmeister hielt die Wege nicht sauber! Dann prallte ein Gewitter auf den armen Mann nieder, das sich gewaschen hatte. Doktor Doktor Solomon ist ein dummer, eitler Pfau. Ein Angeber mit dem IQ eines Toastbrotes. Obwohl – das ist nicht ganz richtig. Ich sollte mich beim Toastbrot entschuldigen.
    Wahre Größe braucht kein Angebertum. Echte Intelligenz zeigt sich gerade darin, in Bescheidenheit die eigenen Grenzen zu erkennen, darin, dass man nicht mit seinem Halbwissen herumprahlt und andere geringschätzt. Wenn es allerdings nur danach ginge, wäre Mark Grünthal auch intelligent. Im Bescheidentun ist er nämlich großartig .
    Aber ich schweife schon wieder ab.
    Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Mark der Sache auf die Spur kommt. Als er zum Beispiel dauernd nach Magnus fragte und schließlich sogar seine Akte einsehen wollte. Hätte ich ihm die Akte kopieren dürfen? Nein. Habe ich aber. Ich musste ihm helfen, er war doch mein Freund, nicht? Und passte das Ganze nicht wunderbar in meinen Plan, Mark als Schuldigen zu präsentieren?
    Ihr wollt wissen, was mit den anderen Kollegen in der Klinik ist? Sie sind nicht der Rede wert, das ist mit ihnen. Dumm, uneinsichtig, beschränkt, jeder einzelne. Sie waren Spielbälle für mich, Material für meine Denkspiele und Tests. Keiner von denen hat gemerkt, was eigentlich los ist. Gut, das mit Magnus hätten sie auch nicht merken dürfen , aber denken Sie doch selbst einmal nach! Hat in all den Jahren jemand entdeckt, dass ich Magnus’ Medikamente durch Placebos ersetzt habe, ja, dass er und ich jede Woche miteinander kommunizierten?
    Dabei musste es doch jedem Blödmann auffallen, dass
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