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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer
Autoren: Nicci French
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nicht.«
    »Wer hat behauptet, dass ich es mag?«
    Sie sah mich nachdenklich an. Eine Nixe in einem farbenprächtigen Meer aus Klamotten. »Dann solltest du mitkommen.«
    »Dafür ist es jetzt zu spät.«
    »Es ist nie zu spät.«
    »Das stimmt nicht.«
    Das Telefon klingelte.
    »Ich geh ran.« Julie rappelte sich hoch. »Setz du schon mal den Kessel auf.«
    Aber es war für mich. »Die Polizei«, flüsterte sie fast lautlos, während sie mir mit einem Schulterzucken den Hörer reichte.
    »Kit Quinn?«
    »Am Apparat.«
    »DCI Oban hat mich gebeten, Sie anzurufen. Es geht um eine Mrs.
    Dear, die sich anscheinend mit Ihnen in Verbindung setzen möchte.«
    »Mrs. Dear? Nie gehört.«
    »Es hat irgendwas mit ihrer Tochter zu tun, Philippa Burton.«
    »Pam Vere?«
    »Jedenfalls möchte sie mit Ihnen reden.«
    »In Ordnung, geben Sie mir die Nummer.«
    »Wahrscheinlich möchte sie, dass ich ihr von den Teales erzähle«, sagte ich zu Julie, nachdem ich aufgelegt hatte.
    »Obwohl Oban längst mit Jeremy Burton gesprochen hat.
    Da gibt es eigentlich nichts mehr zu reden.«
    »Die arme Frau.«
    »Übermorgen ist die Beerdigung – endlich. Philippa war ihr einziges Kind. Jetzt hat sie nur noch Emily.«
    »Gehst du hin?«
    »Wahrscheinlich. Obwohl bestimmt ganze Völkerscharen kommen werden.«
    »Bis dahin bin ich schon in der Luft. Weit weg.«
    »Ich würde so gern wissen, warum sie sterben musste.
    Irgendwie ist das Ganze für mich noch immer nicht abgeschlossen. Es lässt mich einfach nicht los, und für ihre Familie muss es noch viel, viel schlimmer sein – so gar nichts zu wissen.«

    Pam Vere klang am Telefon sehr steif und angespannt. Sie wolle sich noch vor der Beerdigung mit mir treffen, sagte sie. Heute, wenn möglich. Sie habe den ganzen Tag Zeit.
    Ich erklärte, ich könne in einer halben Stunde bei ihr sein.
    »Mir wäre es lieber, wenn wir uns irgendwo draußen treffen könnten.«
    »Wie Sie wollen.« Ich warf einen prüfenden Blick zum Himmel. »Irgendwo bei Ihnen in der Nähe?«
    »Ich habe mir gedacht, wir könnten einen kleinen Spaziergang am Kanal machen.«
    »Am Kanal?«
    »Wo das Mädchen getötet worden ist.«
    »Lianne.« Es störte mich, dass niemand sie bei ihrem selbst gewählten Namen nannte. Sogar in den Zeitungen war sie immer nur »das obdachlose Mädchen«, »die Stadtstreicherin«. Ebenso nervten mich die banalen Adjektive, mit denen die einfallslose Presse sie belegte: Philippas Tod war tragisch, der von Lianne nur traurig.
    »Ja. Können wir uns dort treffen?«
    Ich versuchte, meine Überraschung zu verbergen.
    »Natürlich. Wie Sie möchten.«
    Als ich die Treppe erreichte, die zum Kanal hinunterführte, begann es zu regnen. Einzelne große Tropfen platschten ins Wasser, das kleine kreisförmige Wellen schlug. Der Anblick erschien mir unheilverkündend – nur dass das Unheil bereits passiert war und der Vergangenheit angehörte.
    Pam Vere wartete schon auf mich, eingehüllt in einen Kamelhaarmantel und einen Schal. Sie lächelte nicht, streckte mir aber die Hand entgegen, als ich auf sie zuging. Ihr Händedruck war fest, ihr Blick ruhig, ihr Gesicht kalkweiß. Mir fiel auf, dass sie ungewöhnlich nachlässig geschminkt war – an der Seite ihrer Nase klebte überschüssiger Puder, auf einem ihrer faltigen Augenlider ein Klecks Wimperntusche. »Danke, dass Sie gekommen sind«, begrüßte sie mich sehr förmlich.
    »Es war mir ein Bedürfnis«, antwortete ich.
    »Sie kommen bestimmt auch zur Beerdigung.«
    »Natürlich.«
    »Ich wollte Ihnen vorher noch etwas erzählen. Dort hätte ich keine Gelegenheit dazu gehabt.«
    Sie sah sich um, ließ den Blick über das Gestrüpp aus dornigen Sträuchern, den mit Chipstüten übersäten Weg, das schmutzige, von Regentropfen gesprenkelte Wasser schweifen. »War es hier?«
    »Bei der Brücke.« Ich deutete mit der Hand in die Richtung.
    »Hat sie gelitten?«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. »Ich glaube nicht. Die Teales waren keine Serienkiller, Mrs. Vere, nicht wie die Wests. Sie hatten keinen Spaß am Morden. Bestimmt haben sie es so schnell wie möglich hinter sich gebracht.
    Das Schlimmste für Ihre Tochter war wahrscheinlich das Wissen, dass sie Emily allein zurückgelassen hatte.«
    Sie räusperte sich. »Ich habe das andere Mädchen gemeint.«
    Ich starrte sie an. »Wen? Lianne?«
    »Ja.« Sie wich meinem Blick nicht aus. »Musste sie große Schmerzen leiden?«
    »Nein«, antwortete ich. »Ich
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