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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer
Autoren: Nicci French
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nicht sicher, ich sehe es an Ihren Augen. Sie sind nicht sicher, ob Sie mir glauben sollen. Aber ich habe nicht zugelassen, dass er Sie tötet. Das zumindest wissen Sie bestimmt.«
    »Ja, das weiß ich bestimmt. Sie haben sich plötzlich gegen ihn aufgelehnt. Wie kam das?«

    Nachdenklich zündete sie sich eine weitere Zigarette an.
    »Ich dachte, es würde immer so weitergehen, und wir würden niemals sicher sein, zumindest nicht sicher genug für Gabe. Vielleicht war ich auch einfach nur müde.«
    Ich nahm einen Schluck von meinem Tee. Er war inzwischen kalt und schmeckte irgendwie metallisch, was aber auch an meinem trockenen Mund liegen konnte.
    Bryony beugte sich mit eindringlicher Miene vor. »Ich habe die letzten Tage viel gelesen«, erklärte sie. »Ich glaube, ich war geistig krank. Es ist ein Syndrom emotionaler Abhängigkeit. Ein häufig vorkommendes Verhaltensmuster. Frauen geraten unter den Einfluss dominanter Männer und werden hilflos. Ich bin jahrelang von Gabe misshandelt worden. Er ist ein schwieriger Mann. Ein gewalttätiger Mann. Hinzu kommt, dass es keine eindeutige Schwarz-Weiß-Situation war. Der erste Todesfall war ein Selbstmord, eine Tragödie. Dann passierte der Unfall. Als wir schließlich mitten in der Sache drinsteckten, hatte ich bereits jedes Gefühl von Identität verloren.« Sie zog wieder an ihrer Zigarette und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Was meinen Sie, werden mir die Leute das glauben?«
    »Sehr wahrscheinlich«, antwortete ich. »Ich habe festgestellt, dass Menschen die seltsamsten Dinge glauben.
    Außerdem sind Sie jung und hübsch und gehören der Mittelklasse an, was immer hilfreich ist.«
    »Sie kennen sich mit so was aus«, sagte sie. »Sie waren die wichtigste Person in diesem Fall. Die Polizei vertraut Ihnen. Werden Sie mir helfen?«
    Ich holte tief Luft und schob die Hände in die Taschen, vielleicht um zu verbergen, dass sie zitterten. »Ich glaube, ich war in den Fall zu sehr involviert, um als psychologische Gutachterin vor Gericht auszusagen.«

    Ihre Miene verhärtete sich. »Kit«, sagte sie, »ich hätte Sie sterben lassen können. Ich habe Sie gerettet. Gabe und ich könnten jetzt zu Hause sitzen, und Sie wären tot. Ich habe Sie gerettet.«
    Ich stand auf. »Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin«, erklärte ich. »Tut mir Leid, wenn Ihnen das nicht enthusiastisch genug ist. Ich muss immer wieder an Emily und die toten Frauen denken. Sie gehen mir einfach nicht aus dem Sinn. Diese Frauen haben gelebt, und Sie haben sie getötet. Wie es aussieht, haben Sie sich das ohne größere Schwierigkeiten verziehen. Es verblüfft mich immer wieder, wie die Leute es schaffen, sich selbst von jeder Schuld freizusprechen.«
    »Aber haben Sie mir denn nicht zugehört?«, fragte Bryony.
    »Ich bin genauso am Boden zerstört wie alle anderen!«
    »Ich habe nur gehört, dass nichts davon Ihre Schuld war«, erwiderte ich, »dass das alles Gabe war und nicht Sie. Sie hätten wohl gern, dass ich mit Ihnen genauso viel Mitleid empfinde wie mit Daisy, Lianne, Philippa und Michael.«
    »Ich brauche Hilfe.« Ihre Stimme war nur noch ein Heulen.
    »Ich habe immer Hilfe gebraucht.«

    Oban wartete draußen auf dem Parkplatz. Es ging ein böiger, kalter Herbstwind. Ich schloss die Augen und wandte mein Gesicht dem Sturm zu. Ich wollte, dass er die letzte Stunde aus mir herauswehte. Oban lächelte.
    »War es so, wie Sie vermutet haben?«, fragte er. »Hat sie sich als eines von Gabriel Teales Opfern dargestellt?«
    »So ungefähr.«

    »Glauben Sie, sie wird damit durchkommen?«
    »Nicht wenn ich dabei etwas zu sagen habe«, antwortete ich schaudernd. Meine Augen füllten sich mit Tränen.

    Als Oban mich am Ende meiner Straße absetzte, begann es bereits zu dämmern. Trotzdem sah ich schon aus der Ferne, wer vor meiner Tür stand. Er hatte die Hände in die Taschen seines langen Mantels geschoben und die Schultern hochgezogen. Er sah aus, als stünde er auf einem einsamen Felsen, umtost von bissigen Winden.
    Einen Moment überlegte ich, ob ich weglaufen sollte.
    Oder auf ihn zulaufen und die Arme um seine grimmige Gestalt schlingen. Natürlich tat ich weder das eine noch das andere. Ich ging so lässig wie möglich den Gehsteig entlang, und als er mich schließlich kommen hörte und den Kopf umwandte, brachte ich sogar ein Lächeln zustande.
    »Ich komme gerade aus Salton Hill«, sagte ich.
    »Oh.« Er zog ein Gesicht. »Von ihr.«
    »Ja.«
    »Wenigstens wird es jetzt
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