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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer
Autoren: Nicci French
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keine von seinen beschissenen Stücken mehr geben«, meinte er und schob die Hände noch tiefer in die Taschen.
    »Ich wusste gar nicht, dass du dir welche angesehen hast.«
    »Das war auch gar nicht nötig.« Einen Moment lang schwiegen wir. Will sah aus, als wäre er von jemandem beauftragt worden, vor meiner Tür Wache zu stehen. Er schniefte ein wenig. »Ich nehme an, du erwartest von mir, dass ich dir gratuliere.«
    »Na ja …«
    »Wahrscheinlich möchtest du, dass ich ausführlich darüber spreche, wie Recht du doch hattest und wie Unrecht der Rest der Welt, einschließlich mir. Stimmt’s?
    Du möchtest, dass ich dir eine gottverdammte Medaille oder so was in der Art überreiche.«
    Ich kicherte. »Nichts dagegen einzuwenden.«
    Ich schob die Tür auf und stieß das Bündel Post weg, das auf der Matte lag. »Möchtest du mit reinkommen?« Er zögerte.
    »Auf ein Glas Wein? Ein Bier? Komm schon!«
    Er folgte mir die Treppe hinauf. In der Küche reichte ich ihm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und schenkte mir selbst ein Glas Rotwein ein. Nachdem ich die Vorhänge zugezogen hatte, zündete ich eine Kerze an und stellte sie zwischen uns auf den Tisch. Er nahm einen Schluck. »Wie geht es deinem Hals?«, fragte er. »Oder was er sonst an dir …«
    »Gut«, antwortete ich. Ich betrachtete sein Gesicht, das halb im Schatten, halb im flackernden Kerzenlicht lag. Ich wusste, dass er sich nicht ändern würde: Ich würde die ganze Zeit auf mehr hoffen, immer um etwas bitten, das er nicht geben konnte.
    »Will …«, begann ich.
    »Bitte«, unterbrach er mich. Er schloss für einen Moment die Augen. »Bitte.« Ich fragte mich, an wen diese Bitte wohl gerichtet war. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht mehr mit mir sprach, sondern mit jemandem in seinem Kopf. Ich lehnte mich über den Tisch und legte meine Hand auf seinen Arm. Es war, als würde ich Stahl berühren. Am liebsten hätte ich sein Gesicht in meine Hände genommen und ihn geküsst. Ich wünschte mir, von ihm ganz fest in den Arm genommen zu werden. Aber er blieb reglos sitzen.
    »Das ist nicht fair von dir«, sagte ich schließlich.

    »Nein, wahrscheinlich nicht.« Er kippte den Rest seines Biers hinunter und stand auf. Sein Stuhl scharrte über den Boden. Er blickte sich um.
    »Ziehst du von hier weg?«
    »Warum sollte ich?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Schlimme Assoziationen. Ein Trauma.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was für schlimme Assoziationen? Ich bleibe.«
    »Das ist gut«, sagte er, bremste sich aber sofort wieder.
    »Ich meine, es ist eine interessante Gegend. In mancherlei Hinsicht.«
    »Das finde ich auch.«
    »Gut.« Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Wange. Ich spürte seinen Atem, seine Bartstoppeln. Einen Moment lang blieben wir so stehen, im Kerzenlicht eng aneinander geschmiegt. Dann löste er sich von mir.
    »Du hast dich sehr tapfer geschlagen«, sagte er. »Das habe ich schon erwähnt, oder?«
    »Nicht mit diesen Worten.«
    »Ich kann noch immer nicht glauben, dass du dich da ganz allein hingewagt hast«, erklärte er. »Du solltest besser auf dich aufpassen.«
    Dann ging er, in seinen wehenden, langen Mantel gehüllt, und ich blieb stehen, wo ich war, und blickte ihm nach.

    47. KAPITEL
    Ich half Julie beim Packen. Unsere ohnehin schon melancholische Stimmung wurde durch das milde Herbstwetter draußen noch verstärkt. Die Buchen und Kastanien leuchteten inzwischen gelb, golden und rostrot, und ein warmer Wind wehte durch ihre Äste und ließ immer wieder bunte Blätterschauer durch die Luft wirbeln.
    Im Garten türmten sich Berge braunen Laubs, in die hin und wieder ein paar Kinder hineinsprangen und dabei vor Vergnügen jauchzten. Die Sonne schien durch einen dünnen Wolkenschleier. Der Sommer, der nie ein richtiger Sommer gewesen war, machte sich zum Aufbruch bereit, genau wie Julie. Ich würde zurückbleiben.
    »Hier, das gehört dir.« Sie warf mir ein lavendelfarbenes Oberteil zu, das ich selbst erst ein paar Mal getragen hatte.
    »Und das auch.« Eine dünne Strickjacke segelte mit flatternden Ärmeln durch die Luft. »Mein Gott, mir war gar nicht bewusst, wie viele von deinen Sachen ich mir im Lauf der Monate ausgeliehen habe! Ich bin wie eine Elster.« Sie kicherte. Ihre Augen strahlten, und sie glühte vor Energie und Aufregung.
    Wir sortierten nun schon den ganzen Vormittag ihre Sachen, ließen uns dabei aber viel Zeit und legten jede halbe Stunde eine Teepause ein. Wir teilten ihre
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