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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
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taubstumm. Ich hatte von mehreren Taubstummen gehört, die über phänomenale Kräfte verfügten, wahrscheinlich eine Art von ausgleichender Gerechtigkeit.
    Er war jedoch gezwungen, seinen Würgegriff aufzugeben und schnell nach der Kette zu greifen, um zu verhindern, daß wir beide über Bord in die kalten finsteren Wasser des Loch Houron fielen. Ich stieß mich von ihm ab und drehte mich um, um sein Gesicht zu sehen. Mit dem Rücken stützte ich mich gegen die Wand der Funkkabine. Ich brauchte diese Wand dringend. Ich brauchte eine Stütze, während mein Kopf langsam wieder klar wurde und Leben in mein abgestorbenes rechts Bein zurückkehrte.
    Jetzt konnte ich ihn sehen, als er sich an der Reling aufrichtete. Nicht deutlich – dafür war es zu dunkel –, aber ich konnte die weißen verschwommenen Flecke seines Gesichts und der Hände sehen und den Umriß seines Körpers erkennen.
    Ich war auf einen gewaltigen Giganten gefaßt, aber er war kein Gigant. Es sei denn, meine Augen konnten nicht mehr deutlich sehen, was allerdings möglich war. Was ich in der Dunkelheit erkennen konnte, schien eine gedrungene, gutgebaute Figur zu sein, mehr aber nicht. Er war nicht einmal so groß wie ich. Aber das bedeutete gar nichts – Georg Hackenschmidt war auch nur 1,75 Meter groß und wog knapp neunzig Kilo, als er den ›Schrecklichen Türken‹ wie einen Fußball in die Luft warf und mit achthundert Pfund Zement auf dem Rücken durch den Ring tanzte, nur um sich fit zu halten. Ich hatte keinerlei Gewissensbisse oder falschen Stolz, vor einem kleineren Mann wegzulaufen, und was diesen Kerl anlangt – je weiter und je schneller, desto besser. Aber jetzt noch nicht. Mein rechtes Bein war noch nicht soweit. Ich griff mit der Hand zum Nacken und holte mir mein Messer. Ich hielt es vor mich, die Klinge in der Handfläche verdeckt, so daß er nicht den Stahl in dem schwachen Sternenlicht erkennen konnte.
    Ruhig und bedacht, wie ein Mann, der genau weiß, was er zu tun gedenkt und nicht den geringsten Zweifel an dem Gelingen seines Vorhabens hat, kam er auf mich zu. Gott weiß, auch ich hegte keinerlei Zweifel, daß seine Überzeugung berechtigt war. Er kam von der Seite auf mich zu, so daß ihn mein Fuß nicht treffen konnte, die rechte Hand weit vorwärts gestreckt. Ein einseitiger Bursche. Er wollte mir wieder an die Kehle. Ich wartete, bis seine Hand einige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war, und riß dann meine eigene rechte Hand mit aller Kraft nach oben. Unsere Hände trafen genau aufeinander. Und die Klinge ging genau durch die Mitte seiner Handfläche.
    Er war doch nicht taubstumm. Drei kurze, nicht wiederzugebende Worte. Eine völlig unberechtigte Beleidigung meiner Vorfahren. Er ging schnell rückwärts, wobei er den Handrücken und die Handfläche am Anzug rieb, um sie dann in einer eigentümlich tierartigen Weise zu belecken. Er starrte auf das Blut, das in dem Sternenlicht schwarz wie Tinte von beiden Seiten aus seiner Hand floß.
    »Aha, der kleine Mann hat ein Messerchen, wie?« sagte er leise. Die Stimme war ein Schock für mich. Bei der Stärke dieses Höhlenmenschen hatte ich auch die entsprechende Intelligenz und die dazugehörige Stimme erwartet. Die Worte kamen jedoch in der ruhigen, angenehmen, kultivierten und fast akzentfreien Sprache des guterzogenen, im Süden lebenden Engländers. »Wir werden ihm das Messerchen abnehmen müssen, nicht wahr?« Er sprach jetzt lauter. »Kapitän Imrie?« So zumindest hörte sich der Name für mich an.
    »Sei still, du Narr.« Die eindringliche, zornige Stimme kam aus der Richtung der hinteren Mannschaftsquartiere. »Willst du etwa …«
    »Keine Sorge, Käpt'n.« Seine Augen ließen mich nicht los. »Ich habe ihn hier bei der Funkstation. Er ist bewaffnet. Ein Messer. Ich werde es ihm jetzt wegnehmen.«
    »Du hast ihn? Du hast ihn? Gut, gut, gut!« Die Stimme klang, wie wenn der Mann, dem sie gehörte, mit den Lippen schmatzte und sich die Hände rieb. Sie klang auch wie wenn ein Deutscher oder Österreicher Englisch spricht. Der kurze Kehllaut bei dem ›gut‹ war unverkennbar. »Sei vorsichtig, den hier will ich lebend haben. Jacques! Henry! Kramer! Schnell! Auf der Brücke und zur Funkstation.«
    »Lebend«, sagte der Mann, der mir gegenüberstand, freundlich, »das kann auch bedeuten, noch nicht ganz tot.« Er saugte wieder Blut aus seinem Handteller. »Oder willst du mir das Messer ruhig und friedlich übergeben? Ich würde vorschlagen –«
    Ich
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