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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
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Einstichwunde aus dem Rücken zu Boden geflossen war, hätte nicht einmal einen Teelöffel gefüllt. Ich hatte auch nicht erwartet, mehr zu finden. Denn wenn das Rückgrat sauber durchstochen wird, hört das Herz sehr schnell auf, weiter Blut durch den Körper zu pumpen, wodurch nur geringe Blutungen entstehen. Im Körper selbst würde es noch eine kleine innere Blutung geben, aber auch nicht sehr stark.
    Die Vorhänge waren zugezogen; ich tastete Boden, Schotten und Möbel mit meiner Lampe genauestens ab. Ich weiß nicht, was ich erwartete. Jedenfalls fand ich nichts. Ich ging wieder aus dem Raum hinaus, schloß die Tür hinter mir und durchsuchte die Funkkabine mit dem gleichen negativen Resultat. Es gab für mich hier nichts mehr zu tun. Ich hatte alles gefunden – auch, was ich nicht zu finden gehofft hatte. Nicht ein einziges Mal hatte ich mir die Gesichter der beiden Toten angesehen. Das brauchte ich auch nicht, denn es waren Gesichter, die ich ebensogut kannte wie das, das mir jeden Morgen beim Rasieren aus dem Spiegel entgegensah. Noch vor einer Woche hatten sie mit unserem Chef und mir in unserem Stammlokal in London zusammen zu Abend gegessen. Sie waren so fröhlich und entspannt gewesen, wie es Menschen in unserem Beruf nur möglich ist. Für eine kurze Zeitspanne war ihre normale Wachsamkeit von der Freude zu den schönen Dingen des Lebens überstrahlt, von denen sie wußten, daß sie nicht für sie bestimmt waren. Und ich war überzeugt, daß sie zweifelsohne auch diesmal so gewissenhaft und wachsam wie stets gewesen waren. Aber sie waren nicht aufmerksam genug gewesen, und jetzt waren sie stumm. Was ihnen zugestoßen war, ist etwas, was Menschen in unserem Beruf unausbleiblich zustößt, und dem, wenn der Zeitpunkt gekommen war, auch ich nicht entgehen würde. Ganz egal, wie clever, stark und unbarmherzig man auch selbst ist. Früher oder später wird man auf einen Menschen stoßen, der noch cleverer, stärker und unbarmherziger ist als man selbst. Und dieser eine wird einen kleinen Meißel in seiner Hand haben, und all deine schwer erworbenen Erfahrungen und Erkenntnisse, die du in Jahren gewonnen hast, zählen nicht, denn du siehst ihn nicht einmal kommen. Du hast in ihm den stärkeren Gegner endlich getroffen – und dann bist du tot.
    Ich hatte sie in den Tod geschickt. Nicht absichtlich, nicht bewußt, aber letztlich war es meine Verantwortung. Das war alles meine Idee gewesen. Meinem Hirn entsprungen. Ganz allein meine Sache. Ich hatte alle Widerstände niedergekämpft und unseren zweifelnden und höchst skeptischen Chef dazu überredet, wenn er uns schon nicht seine begeisterte Zustimmung geben würde, es zumindest grollend zu genehmigen. Ich hatte den beiden Männern Baker und Delmont gesagt, wenn sie sich genauso verhielten, wie ich es geplant hatte, dann könnte ihnen nichts passieren. Und sie hatten mir blind vertraut und sich genauso verhalten, und nun lagen sie tot vor mir. Zögern Sie nicht, meine Herren, glauben Sie nur fest an mich, aber vergessen Sie nicht, vorher noch Ihr Testament zu machen.
    Hier war jetzt nichts mehr zu tun. Ich hatte zwei Männer in den Tod geschickt, und das konnte nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Es war an der Zeit, daß ich verschwand.
    Ich öffnete die Tür, die nach draußen führte, so wie man die Tür zu einem Keller öffnet, von dem man weiß, daß er voller Kobras und ›Schwarzer Witwen‹ ist. Das heißt, Kobras und ›Schwarze Witwen‹ sind harmlose und beinah reizende kleine Geschöpfe im Vergleich zu einigen Mitgliedern der menschlichen Rasse, die sich in dieser Nacht frei auf dem Deck des Frachters ›Nantesville‹ bewegten.
    Nachdem ich die Tür ganz weit geöffnet hatte, stand ich längere Zeit da, ohne mich zu rühren, ohne einen Muskel zu bewegen. Ich atmete flach und gleichmäßig. In dieser Stellung erscheint einem eine Minute wie ein halbes Leben. Ich lauschte. Ich konnte das Schlagen der Wellen gegen den Schiffskörper hören und das leise metallische Geräusch, wenn die ›Nantesville‹ mit ihrer Verankerung gegen Wind und Strömung ankämpfte; das dumpfe Seufzen des stärker werdenden Nachtwindes in der Takelage und einmal weit entfernt den Ruf eines Brachvogels. Einsame Geräusche, gefahrlose Geräusche, Geräusche der Nacht und der Natur. Das waren nicht die Geräusche, auf die ich wartete. Langsam wurden auch diese Laute ein Teil der allgemeinen Ruhe. Andere fremde Geräusche, verstohlene, bedrohende, gefahrverkündende,
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