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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
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nur noch kälter. Ja, der Tod war da. Aber der Sensenmann stand nicht länger abwartend, er war hier gewesen und schon wieder gegangen und hatte diesen leblosen Körper zurückgelassen. Ich richtete mich auf und sah, daß die Vorhänge zugezogen waren. Dann machte ich geräuschlos die Tür zu und verschloß sie leise, ehe ich das Licht in der Kabine anmachte.
    In den Mordgeschichten, die sich in alten englischen Landhäusern abspielen, gibt es selten einen Zweifel, zu welchem genauen Zeitpunkt der Tod eingetreten ist. Nach einer flüchtigen Untersuchung und viel pseudo-medizinischem Getue läßt der gute Doktor das Handgelenk der Leiche sinken und sagt: »Der Tote verstarb in der vergangenen Nacht um 23 Uhr 57« oder so etwas Ähnliches, und dann, während ein verschämtes Lächeln über seine Züge gleitet, womit er andeuten will, daß auch er nur ein Mensch ist und sich in Kleinigkeiten irren kann, fügt er hinzu: »Es kann natürlich auch ein bis zwei Minuten früher oder später gewesen sein.« Der gute Arzt, der sich nicht auf den Seiten eines Kriminalromans befindet, sieht sich einem wesentlich schwierigeren Problem gegenüber. Das Gewicht, der Körperbau, die herrschende Temperatur und die Todesart beeinflussen stark und unvorhersehbar die Abkühlung der Leiche, so daß sich die geschätzte Zeit für den Eintritt des Todes sehr leicht über mehrere Stunden erstrecken kann.
    Ich bin kein Arzt. Und alles, was ich über den Mann hinter dem Tisch sagen konnte, war folgendes: Er war schon so lange tot, daß die Totenstarre bereits eingetreten war, aber noch nicht so lange, daß sie schon wieder nachgelassen hätte. Er war so steif wie ein Mann, der während eines sibirischen Winters erfroren ist. Er war schon seit Stunden tot. Seit wie vielen – davon hatte ich keine Ahnung.
    Er trug vier goldene Streifen an seinen Ärmeln, das würde bedeuten, daß es sich bei ihm um den Kapitän handelte. Der Kapitän in der Funkkabine? Kapitäne findet man nur sehr selten in der Funkkabine und niemals hinter dem Arbeitstisch. Er saß in seinem Stuhl zusammengesunken, den Kopf zur Seite gewandt, mit dem Nacken an eine Jacke gelehnt, die an einem Haken hing, der im Schott festgemacht war. Die Totenstarre ließ ihn in dieser Stellung verharren, aber er hätte normalerweise, noch ehe sie eingetreten war, nach vorn auf den Tisch fallen oder auf den Boden gleiten müssen.
    Ich konnte keinerlei äußerliche Zeichen eines Kampfes erkennen, stand aber doch auf dem Standpunkt, daß es die Theorie des Zufalls überbeanspruchen hieße, wenn ich annehmen würde, daß er eines natürlichen Todes gestorben sei, während er sich gerade darauf vorbereitete, sein Leben mit Hilfe des ›Peacemaker‹ zu verteidigen. Ich sah mich weiter um. Ich versuchte ihn geradezusetzen, aber er wollte sich nicht bewegen. Ich bemühte mich noch mehr und vernahm auf einmal das Geräusch von reißendem Stoff. Ganz plötzlich hatte ich ihn aufgerichtet, und sofort fiel er nach links auf den Tisch, wobei der rechte Arm sich zu drehen begann und nun steif nach oben zeigte. Die Mündung des Colts ragte wie ein anklagender Finger gen Himmel.
    Jetzt wußte ich, wie er gestorben war und warum er nicht eher vornüber gefallen war. Er war mit einer Waffe getötet worden, die aus seinem Rückgrat hervorragte. Etwa zwischen dem sechsten und siebenten Wirbel. Der Griff der Waffe hatte sich in der Tasche der Jacke, die am Schott hing, verfangen und ihn so festgehalten.
    In meinem Beruf habe ich mit einer ganzen Anzahl von Menschen zu tun gehabt, die später an irgendwelchen ausgefallenen Todesarten zugrunde gingen, aber dies hier war der erste Fall, wo ich einen Menschen sah, der mit einem Meißel umgebracht worden war. Es war ein eineinhalb Zentimeter breiter, völlig normaler Holzmeißel, nur war der hölzerne Griff durch den Gummihandgriff eines Fahrradlenkers verkleidet, der so beschaffen war, daß keine Fingerabdrücke auf ihm zurückblieben. Der Meißel war mindestens zehn Zentimeter tief in den Körper eingedrungen, und selbst wenn er rasiermesserscharf geschliffen war, mußte der Täter, der den Stoß ausführte, ein ebenso kräftiger wie brutaler Mensch gewesen sein. Ich versuchte den Meißel herauszuziehen, aber es gelang mir nicht. Das kann einem bei einem Messer häufig passieren. Knochen oder Knorpel, die von einem scharfen Instrument durchstochen worden sind, schließen sich fest um den Stahl, wenn ein Versuch gemacht wird, die Waffe wieder zu
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