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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
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E RSTES K APITEL
    Montag abend bis Dienstag früh drei Uhr
    D en ›Peacemaker‹-Colt gibt es nun schon seit hundert Jahren, ohne daß irgendeine Veränderung an seinem Äußeren vorgenommen worden ist. Wenn man heute einen kauft, so unterscheidet er sich nicht im geringsten von dem, den Wyatt Earp trug, als er Marschall in Dodge City war. Er ist die älteste Handfeuerwaffe der Welt und ohne Zweifel die berühmteste. Wenn man die Leistungsfähigkeit dieser Waffe, deren Aufgabe darin besteht, zu verwunden und zu töten, als Grundlage für ihren Wert betrachten will, dann ist sie vielleicht die beste Handfeuerwaffe, die je geschaffen wurde. Natürlich ist es auch keine Kleinigkeit, von einem der hochgeschätzten Konkurrenten des ›Peacemaker‹ getroffen zu werden, wie zum Beispiel von einer Luger oder Mauser: Die große Geschwindigkeit und das kleine Kaliber lassen das Stahlmantelgeschoß dieser beiden glatt durch einen hindurchschlagen, sie hinterlassen nur ein kleines, sauberes Loch und verbrauchen den Rest ihrer Kraft in entfernteren Gegenden, während die große, stumpfe, mantellose Kugel des Colts mit ganzer Macht einschlägt, dabei Knochen, Muskeln und Gewebe zerstört und so ihre volle Energie der Person zukommen läßt.
    Kurz, wenn eine Kugel des ›Peacemaker‹ sagen wir zum Beispiel ins Bein trifft, dann kann man weder flüchten noch in Deckung gehen und sich dabei mit einer Hand eine Zigarette rollen, sie anstecken und dann elegant seinem Angreifer genau zwischen die Augen schießen. Wenn die Kugel eines ›Peacemaker‹ einen ins Bein trifft, dann fällt man bewußtlos zu Boden. Falls der Oberschenkel getroffen wird und man das Glück hat, den Schock und die Verwundung zu überleben, dann wird man niemals wieder ohne Krücken gehen können, weil dem Chirurgen, der einen völlig zerstörten Oberschenkel behandeln muß, nichts anderes übrigbleibt, als das Bein zu amputieren. Aus diesem Grund stand ich völlig bewegungslos und ohne zu atmen da, denn ein solcher ›Peacemaker‹-Colt, der mich veranlaßt hatte, diese unbequemen Überlegungen anzustellen, war genau auf meinen rechten Oberschenkel gerichtet.
    Und noch eine Überlegung: Um den halbautomatischen Abzugsmechanismus des ›Peacemaker‹ zu bedienen, sind ziemliche Kraft und äußerste Ruhe vonnöten, deshalb kann er, wenn er sich in einer unsicheren Hand befindet, sehr ungenau operieren. Diese Hoffnung war hier nicht gegeben. Die Hand, die den Colt hielt, die Hand, die so leicht und doch bestimmt auf dem Tisch des Funkers lag, war die ruhigste Hand, die ich je gesehen hatte. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes bewegungslos. Ich konnte die Hand ganz deutlich erkennen, obgleich das Licht in der Kabine des Funkers sehr trüb war. Der Lichtkegel der gebogenen Tischlampe war so schwach, daß nur ein dünner gelber Strahl auf die zerkratzte Oberfläche der metallenen Tischplatte fiel, wodurch der Arm am Handgelenk abgeschnitten wurde, während die Hand klar sichtbar blieb. Die Waffe bewegte sich nicht im geringsten und machte den Eindruck, als läge sie in der marmornen Hand einer Statue. Außerhalb des Lichtstrahls konnte ich die dunklen Umrisse eines Körpers, der sich gegen das Schott lehnte, teils spüren, teils sehen. Der Kopf war leicht zur Seite geneigt, und unter dem Mützenschirm starrten mich seine Augen bewegungslos an. Mein Blick fiel wieder auf die Hand. Der Colt war nach wie vor auf mich gerichtet. Unbewußt spannte ich mein rechtes Bein an, um mich auf den bevorstehenden Schock vorzubereiten. Zur Verteidigung eine sehr vernünftige Handlung, in Wirklichkeit aber bedeutet es so viel, als ob ich eine Zeitung vor mich halten würde. Ich wünschte in diesem Augenblick, daß der Oberst Sam Colt etwas anderes erfunden hätte, irgend etwas Nützliches, wie zum Beispiel Sicherheitsnadeln.
    Ganz langsam und ganz ruhig hob ich beide Hände, die Handflächen nach außen, bis sie sich in der Höhe meiner Schultern befanden. Ich bewegte mich so vorsichtig, daß ein eventuell nervöser Mensch nicht etwa glauben konnte, ich wolle irgend etwas Verrücktes anstellen, wie zum Beispiel Widerstand leisten. Vielleicht war das Ganze eine ziemlich überflüssige Vorsichtsmaßnahme, da der Mann hinter der unbeweglichen Pistole überhaupt keine Nerven zu haben schien. Aber es lag mir wirklich ganz fern, Widerstand zu leisten. Die Sonne war schon lange untergegangen, ein letzter Widerschein erleuchtete noch den westlichen Horizont, so daß ich in der Tür der
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