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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
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waren nicht zu vernehmen. Kein leises Atmen, nicht der geringste Laut von Schritten auf dem stählernen Deck, kein Rascheln von Kleidung, nichts. Wenn dort draußen jemand wartete, dann besaß er eine Geduld und Unbeweglichkeit, die übermenschlich sein mußten. Aber in dieser Nacht beunruhigten mich keine Übermenschen, sondern nur Menschen, Menschen mit Messern und Waffen und Meißeln in ihren Händen. Leise kam ich hervor und stieg über die Sturmschwelle.
    Ich bin noch nie während der Nacht in einem selbstgefertigten Kanu den Orinoko entlanggepaddelt, wobei eine zehn Meter lange Anakonda von einem Baum auf mich herabfiel, ihren Körper um meinen Hals schlang und mich langsam zu erdrosseln begann. Und, was wichtiger ist, das alles muß mir auch gar nicht mehr passieren, um dieses Gefühl beschreiben zu können, denn ich weiß ganz genau, wie es ist. Die tierische Kraft, die wilde Grausamkeit der beiden riesigen Hände, die sich von hinten um meinen Hals legten und ihn umschlossen, war schrecklich, etwas, was ich noch nie erfahren hatte, ja, von dem ich noch nicht einmal geträumt hatte. Nach dem ersten Augenblick blinder Panik und völliger Gelähmtheit hatte ich nur einen Gedanken: Uns alle erwischt es einmal, und jetzt bin ich dran, hier ist einer, der cleverer, stärker und brutaler ist als ich.
    Mit aller Kraft, deren ich fähig war, trat ich mit meinem rechten Bein nach hinten aus, aber der Mann hinter mir war in allen Spielregeln bewandert. Er traf mit seinem rechten Fuß schneller und mit noch viel mehr Kraft mein zurückschwingendes Bein. Das war kein Mann, der hinter mir stand, das war ein Zentaur, und er trug die größten Hufe, die mir jemals begegnet waren. Mein Bein fühlte sich nicht so an, als ob es gebrochen, sondern als ob es in der Mitte auseinandergesplittert wäre. Ich spürte seinen linken Zeh hinter meinem linken Fuß und trat danach mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, aber als mein Fuß den Boden berührte, war seine Zehe nicht mehr da. Alles, was ich an meinen Füßen hatte, waren ein Paar dünne Gummischwimmschuhe, und der Schmerz durch den Aufprall auf die eisernen Deckplatten schoß mir bis in den Kopf. Ich griff jetzt mit den Händen nach oben und versuchte, seinen kleinen Finger zu brechen, aber auch hier kam er mir zuvor. Seine Finger waren zu eisenharten Fäusten geballt, wobei der Mittelfinger sich in meine Halsschlagader bohrte. Ich war nicht der erste Mann, den er erwürgt hatte, und wenn ich diesbezüglich nicht sehr schnell etwas unternahm, würde ich auch nicht der letzte sein. In meinen Ohren konnte ich das Zischen komprimierter Luft hören, die unter hohem Druck entwich, und vor meinen Augen wurden die auf- und abschießenden Farbflecke jeden Moment greller und tiefer.
    Was mich in den ersten Sekunden rettete, war die zusammengefaltete Kapuze und der dicke, gummiverstärkte Segeltuchkragen meines Taucheranzuges, den ich unter der Jacke trug. Aber das würde mich nicht mehr lange schützen, denn die Lebensaufgabe des Kerls hinter mir schien darin zu bestehen, daß sich die Knöchel seiner beiden Händen in der Mitte meines Nackens treffen sollten. Bei dem Erfolg, den er bis jetzt gehabt hatte, würde er dieses Ziel bald erreicht haben. Zur Hälfte hatte er es schon geschafft.
    Mit einer abrupten Bewegung beugte ich mich nach vorn. Jetzt hatte ich sein halbes Gewicht auf meinem Rücken, wobei sich der Würgegriff nicht im geringsten lockerte. Gleichzeitig stellte er seine Füße so weit als möglich nach hinten. Das war die instinktive Reaktion auf meine Bewegung, denn er mußte annehmen, daß ich versuchen würde, eins seiner Beine zu packen. Als ich ihn einen Augenblick aus der Balance gebracht hatte, drehte ich mich mit einer kurzen Bewegung herum, bis wir beide mit dem Rücken zur See standen. Mit all meiner Kraft drängte ich rückwärts, einen, zwei, drei Schritte – immer schneller. Die ›Nantesville‹ hatte keine modische Reling aus Teakholz, sondern einfach nur ein paar schmale, kleingliedrige Ketten, und das Rückgrat des Würgers prallte unter der Wucht unserer beiden Körper gegen die obere Kette.
    Wäre ich dagegengerannt, so hätte ich mir garantiert das Rückgrat gebrochen oder auf jeden Fall so viele Wirbel verletzt, daß ich einen orthopädischen Chirurgen monatelang mit Arbeit versorgt hätte. Von diesem Burschen kam nicht einmal ein Schmerzensschrei, noch nicht einmal ein Stöhnen, überhaupt nicht das geringste Geräusch. Vielleicht war er
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